2) Vorsichtigkeitsregeln im Umgange mit allen Geistlichen, ohne Unterschied.

Da nun aber hie und da auch unter den weniger boshaften, ja unter den redlichen Geistlichen einige doch einen kleinen Anstrich von manchen dieser Fehler, zum Beispiel von geistlichem Stolze, von Intoleranz, von Anhänglichkeit an Systemgeist, von falschem esprit de corps, von Habsucht oder von Rachsucht haben, so kann es wohl nicht schaden, wenn man gewisse Vorsichtigkeitsregeln beobachtet, die im Umgange mit allen Personen dieses Standes ohne Unterschied nicht ganz übel angebracht sind.

Man hüte sich also, ihnen Gelegenheit zu Verketzerungen zu geben, und so wie überhaupt ein verständiger Mann sich enthält, über religiöse Gegenstände in Gesellschaften zu räsonieren, so soll man vorzüglich achthaben, in Gegenwart eines Geistlichen nie ein Wort fallenzulassen, das übel ausgelegt und als ein Ausfall gegen irgendein Kirchensystem oder einen Religionsgebrauch angesehn werden könnte. Auch besuche man die Kirchen, selbst wenn die Art des Gottesdienstes und der Vortrag des Predigers unsre Andacht nicht sehr befördern, des Beispiels wegen, und um nicht Gelegenheit zu geben, daß man uns Gleichgültigkeit gegen Religion aufbürde.

Man mache in Gesellschaft nie einen Geistlichen lächerlich, möchte er auch noch so viel Veranlassung dazu geben, auch rede man mit Vorsicht von ihnen! Teils machen diese Herrn gar zu gern ihre eigene Sache zur Sache Gottes, teils verdient dieser ehrwürdige Stand auf alle Weise eine Schonung, die man wegen der Unwürdigkeit einzelner Mitglieder nicht aus den Augen setzen darf, teils kann man durch das Gegenteil Verachtung der Religion, die leider so sehr einreißt, wider Willen befördern.

Man bezeuge hingegen den Geistlichen alle äußere Ehrerbietung, die sie nur irgend billigerweise fordern können, und beleidige nicht nur keinen derselben auf keine auch noch so geringe Art, sondern mache sich auch nicht der mindesten, von jedem andern leicht zu verzeihenden Unterlassungssünde, keines Mangels an Höflichkeit gegen sie schuldig.

Man lasse in Entrichtung der ihnen zukommenden Gebühren und Abgaben sich keine Abkürzung noch Saumseligkeit zuschulden kommen, gebe aber auch bei Fällen, die öfter eintreten können, nicht zu viel. Denn sie schreiben gern alles auf und machen aus Freigebigkeit ein Gesetz, ein Recht, das sie sogar auf ihre Nachfolger zu vererben trachten.

Man sei gastfrei gegen diejenigen, welche eine gute Tafel und ein volles Gläschen lieben.

Man hüte sich, bevor man den Mann nicht recht genau kennt, einen Geistlichen von der alltäglichen Art zum Vertrauten in häuslichen Angelegenheiten und andern Dingen von Wichtigkeit zu machen, und halte ihn entfernt, wenn er sich unberufen in dergleichen mischen will.

Man verhindre die zu große Vertraulichkeit der Weiber und Töchter mit gewissen Beichtvätern und geistlichen Ratgebern.

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Über den Umgang mit Menschen

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Auch gut: Der neue Knigge

Drittes Buch
Über den Umgang mit Geistlichen.
2) Vorsichtigkeitsregeln im Umgange mit allen Geistlichen, ohne Unterschied.


1) Bild eines redlichen Priesters, im Gegensatz mit einem echten Pfaffen.
3) Betragen in Prälaturen, Klöstern, Stiften und gegen Domherrn.

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