3) Einige Vorsichtigkeitsregeln im Umgange mit Schriftstellern.

Die mehrsten Schriftsteller verzeihn es uns leichter, wenn wir ihren sittlichen Charakter, als wenn wir ihren Ruf in der gelehrten Welt antasten. Man sei daher vorsichtig in Beurteilung ihrer Produkte. Selbst dann, wenn sie uns um unsre Meinung darüber fragen, ist dies immer so auszulegen, als bäten sie uns um ein Lob. Den Fall ausgenommen, wenn Freundschaft uns zu völliger Offenherzigkeit verpflichtet, rate ich also, bei solchen Gelegenheiten, wo man unmöglich ohne Niederträchtigkeit loben, wenigstens etwas zu sagen, das die beleidigte Eitelkeit nicht als Tadel auslegen kann.

Fast noch ungnädiger pflegen es die Herrn aufzunehmen, wenn man gar nichts von ihrer Autorschaft weiß, gar nichts von ihnen gelesen hat, oder wenn man den Mann eines Buches wegen, das er geschrieben, dennoch im gemeinen Leben nicht anders wie jeden behandelt, der auf andre Weise der Welt nützlich wird, endlich wenn man Grundsätze äußert, die nicht in ihr System passen, die mit denen streiten, zu deren Behauptung sie so manchen Bogen Papier mit Buchstaben versehn haben. Hüte Dich vor diesem allem, wenn Du einen Schriftsteller nicht beleidigen willst. Allein unterscheide auch wohl, welchen Mann Du vor Dir hast, groß, klein oder mittelmäßig. Alle riechen den Weihrauch gern, der ihnen gestreut wird, aber nicht jeden darf man auf gleich grobe Art einräuchern. Der eine nimmt vorlieb, wenn Du es ihm grade in den Bart sagst: er sei ein großer Mann; der andre ist zufrieden, wenn Du nur ohne Widerspruch erlaubst, daß er dies selbst von sich sage; der dritte verlangt nichts von Dir als Hiobs Geduld, wenn er Dir seine elenden Produkte vorliest; den vierten kitzelt eine kleine vorteilhafte Anspielung auf irgendeine Stelle aus seinen Schriften; dem fünften behagt äußere ausgezeichnete Ehrerbietung, wenn auch von seiner Autorschaft nicht ausdrücklich Erwähnung geschieht, und ein sechster endlich - es sei mir erlaubt, neben diesem mein Plätzchen zu nehmen! - begnügt sich, wenn die wenigen Edeln ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen zu glauben, daß es ihm wenigstens um Wahrheit und Tugend zu tun sei, daß er nichts geschrieben habe, dessen sein Herz sich zu schämen brauchte, und daß, wenn seine Werke keine Meisterstücke sind, sie sich doch auch nicht ausschließlich zu Rosinentüten qualifizieren.

Hinter die Ohren schreiben >>
Über den Umgang mit Menschen

cover
Auch gut: Der neue Knigge

Drittes Buch
Über den Umgang mit Gelehrten und Künstlern.
3) Einige Vorsichtigkeitsregeln im Umgange mit Schriftstellern.


1) Was man heutzutage unter einem Gelehrten und Künstler versteht?
2) Ob man den Gelehrten nach seinen Schriften beurteilen könne, und ob ein Schriftsteller auch im Umgange immer anders reden müsse als gewöhnliche Menschen? Es ist sehr zu verzeihn, wenn ein Mann gern von seinem Fache redet. Über Verlästerung berühmter Männer. Über rezitierende junge Gelehrte.
4) Über den Umgang der Gelehrten untereinander.
5) Man soll nicht prahlen mit der Freundschaft der Gelehrten, noch mit den Brocken aus ihren Schriften.
6) Vorsicht im Umgange mit Journalisten und Anekdotensammlern.
7) Über den Umgang mit Dichtern, Musikern, Dilettanten, und wie sich ein Künstler betragen solle, der heutzutage sein Glück machen will?
8) Etwas über das Schauspielerleben. Warnung für den Jüngling, der sein Leben den gefälligen Musen und dem Umgange mit ihren Priestern widmet.
9) Wie man sich zu betragen habe, wenn man die Direktion über Tonkünstler und Schauspieler führt?
10) Man soll den jungen Künstler nicht durch Schmeichelei verderben. Regeln für diesen.
11) Glück im Umgange mit dem echten philosophischen Künstler beschrieben.
Besuchen Sie auch unsere Seite www.rilke.de!