2) Über das Betragen der Eltern gegen ihre Kinder. Es gibt Eltern, die, umhergetrieben in einem beständigen Wirbel von Zerstreuungen, ihre Kinder kaum ein paar Stunden des Tages sehen, ihren Vergnügungen nachrennen und indes Mietlingen die Bildung ihrer Söhne und Töchter überlassen, oder wenn diese schon erwachsen sind, mit ihnen auf einem so fremden, höflichen Fuße leben, als wenn sie ihnen gar nicht gehörten. Wie unnatürlich und unverantwortlich dies Verfahren sei, das bedarf wohl keines Beweises. Es gibt aber andre Eltern, die von ihren Kindern eine so sklavische Ehrerbietung und so viel Rücksichten und Aufopferungen fordern, daß durch den Zwang und den gewaltigen Abstand, der hieraus entsteht, alles Zutraun, alle Herzensergießung wegfällt, so daß den Kindern die Stunden, welche sie an der Seite ihrer Eltern hinbringen müssen, fürchterlich und langweilig vorkommen. Noch andre vergessen, daß Knaben auch endlich Männer werden; sie behandeln ihre erwachsenen Söhne und Töchter immer noch als kleine Unmündige, gestatten ihnen nicht den geringsten freien Willen und trauen den Einsichten derselben nicht das mindeste zu. - Das alles sollte nicht so sein. Ehrerbietung besteht nicht in feierlicher, strenger Entfernung, sondern kann recht gut mit freundschaftlicher Vertraulichkeit bestehn. Man liebt den nicht, an welchen man kaum hinaufzuschauen wagen darf; man vertraut sich dem nicht an, der immer mit steifem Ernste Gesetz predigt; Zwang tötet alle edle, freiwillige Hingebung. Was kann hingegen entzückender sein, als der Anblick eines geliebten Vaters mitten unter seinen erwachsenen Kindern, die nach seinem weisen und freundlichen Umgange sich sehnen, keinen Gedanken ihres Herzens verbergen vor ihm, der ihr treuester Ratgeber, ihr nachsichtsvoller Freund ist, der an ihren unschuldigen, jugendlichen Freuden teilnimmt oder sie wenigstens nicht stört, und mit ihnen wie mit seinen besten und natürlichsten Freunden lebt. - Eine Verbindung, zu welcher sich alle Empfindungen vereinigen, die nur dem Menschen teuer sein können, Stimme der Natur, Sympathie, Dankbarkeit, Ähnlichkeit des Geschmacks, gleiches Interesse und Gewohnheit des Umgangs. Allein diese Vertraulichkeit kann auch übertrieben werden, und ich kenne Väter und Mütter, die sich dadurch verächtlich machen, daß sie die Gefährten der Ausschweifungen ihrer Kinder, oder gar, wenn diese besser sind als sie selbst, mit ihren Lastern, die sie nicht zu verhehlen trachten, das Gespötte oder der Abscheu derer werden, denen sie ein lehrreiches Beispiel geben sollten.

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Über den Umgang mit Menschen


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Zweites Buch
Zweites Kapitel: Von dem Umgange unter Eltern, Kindern und Blutsverwandten.
2) Über das Betragen der Eltern gegen ihre Kinder.


1) Ob Anhänglichkeit an Familie und Vaterland Vorurteil sei. Etwas über Weltbürger-Geist.
3) der Kinder gegen ihre Eltern.
4) Über den Umgang unter Verwandten. Etwas von alten Oheimen und Basen.

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