4) Über den Umgang unter Verwandten. Etwas von alten Oheimen und Basen. Ich höre so oft darüber klagen, daß man unter fremden Leuten mehr Schutz, Beistand und Anhänglichkeit finde als bei seinen nächsten Blutsverwandten; allein ich halte diese Klage größtenteils für ungerecht. Freilich gibt es unter Verwandten ebensowohl unfreundschaftliche Menschen als unter solchen, die uns nichts angehen; freilich geschieht es wohl, daß Verwandte ihrem Vetter nur dann Achtung beweisen, wenn er reich, oder geehrt vom großen Haufen ist, sich aber des unbekannten, armen oder verfolgten Blutsfreundes schämen; ich denke aber, man fordert auch oft von seinen Herrn Oheimen und Frauen Basen mehr, als man billigerweise verlangen sollte. Unsre politischen Verfassungen und der täglich mehr überhandnehmende Luxus machen es wahrlich notwendig, daß jeder für sein Haus, für Weib und Kinder sorge, und die Herrn Vettern, die oft als unwissende und verschwenderische Tagediebe in der sichern Zuversicht, von ihren mächtigen und reichen Verwandten nicht verlassen zu werden, sorglos in die Welt hinein leben, haben dann so unersättliche Forderungen, daß der Mann, dem Pflicht und Gewissen kein Spielwerk sind, diese unmöglich befriedigen kann, ohne ungerecht gegen andre zu handeln. Um nun diesen unangenehmen Kollisionen sich nie auszusetzen, rate ich, zwar die herzliche Vertraulichkeit, die den Umgang im Familienzirkel so angenehm macht, nicht zu verachten, aber so wenig als möglich bei Blutsfreunden Erwartungen von Unterstützung und Schutz zu hegen und zu erwecken, sich seiner Verwandten anzunehmen, insofern es ohne Unbilligkeit gegen bessere Menschen geschehn kann, nicht aber seine dummen Vettern, wenn man die Macht in Händen hat, andre glücklich zu machen, auf Unkosten verdienstvoller Fremden zu befördern und hinaufzuschieben. Außerdem läßt sich auf den Umgang mit Verwandten noch dasjenige anwenden, was ich unten von dem Umgange unter Eheleuten und Freunden sagen werde, nämlich, daß Menschen, die sich lange kennen und oft ohne Larve und Schminke sehen, doppelt vorsichtig in ihrem Betragen gegeneinander sein müssen, damit einer des andern nicht müde und wegen kleiner Fehler nicht ungerecht gegen größere Tugenden werde. Endlich wünschte ich auch, daß zahlreiche Familien in mittlern Städten nicht so beständig nur unter sich leben möchten, dadurch die Gesellschaft in kleine abgesonderte Teile zerschnitten, trennten und Menschen, die nicht mit ihnen verwandt noch verschwä- gert sind, von sich entfernten, so daß, wenn von ungefähr ein Fremder unter sie gerät, derselbe wie verraten und verkauft ist. Doch nun noch ein paar Anmerkungen. Die erste: Alte Vettern und Tanten, besonders unverheiratete, pflegen so gern zu hofmeistern, ihre podagrischen und hysterischen Launen an ihren erwachsenen Nichten und Neffen auszulassen und diese zu behandeln, als liefen sie noch im Rollwägelchen herum. - Ich denke, das sollten sie bleibenlassen. Dadurch sind wirklich die alten Tanten und Onkels zu einem Sprichworte geworden, und manche geringe Erbschaft wird zu teuer erkauft, wenn man dafür so viel einschläfernde, wirkungslose Predigten anhören muß, dahingegen die guten alten Leute von ihren jungen Verwandten mir Freuden liebevoll gepflegt und gewartet werden würden, wenn sie weniger säuerlich in ihrem Betragen gegen sie wären. Die andre Anmerkung: Es herrscht in manchen Städten, besonders in Reichsstädten, ein äußerst steifer und übler Ton unter den Personen einer Familie. Bürgerliche, ökonomische und andre Rücksichten zwingen sie, sich oft zu sehn, und dennoch zanken, necken, hassen sie sich unaufhörlich untereinander und machen sich dadurch das Leben sehr schwer. Wo gar keine Sympathie in Denkungsart ist, wo gar keine Einigkeit und Freundschaft herrschen, da lasse man sich doch lieber ungeplagt, betrage sich höflich gegeneinander, wähle sich aber Freunde nach seinem Herzen. |
Zweites Buch Zweites Kapitel: Von dem Umgange unter Eltern, Kindern und Blutsverwandten. 4) Über den Umgang unter Verwandten. Etwas von alten Oheimen und Basen. 1) Ob Anhänglichkeit an Familie und Vaterland Vorurteil sei. Etwas über Weltbürger-Geist. 2) Über das Betragen der Eltern gegen ihre Kinder. 3) Über das Betragen der Kinder gegen ihre Eltern.
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