3) Glückseligkeit der ersten Liebe, im Gegensatz mit den Empfindungen eines Herzens, das schon oft Tausch und Handel getrieben.

Die erste Liebe bewirkt ungeheure Revolutionen in der ganzen Sinnesart und dem Wesen des Menschen. Wer nie geliebt hat, kann keinen Begriff haben von den seligen Freuden, die der Umgang unter Verliebten gewährt; wer zu oft mit seinem Herzen Tausch und Handel getrieben hat, verliert den Sinn dafür. Ich habe einst ein Bild davon entworfen, und da ich jetzt nichts Bessers darüber zu sagen weiß; so will ich diese Stelle hier abschreiben.*

»Es ist eine gar sonderbare Sache um die ersten Liebeserklärungen. Wer mit seinem Herzen schon oft Spielwerk getrieben, seine zärtlichen Seufzer vor manchen Schönen schon ausgeblasen hat, dem wird es eben nicht schwer, wenn er einmal wieder sich die Lust macht, verliebt zu werden, seine Empfindungen bei einer schicklichen Gelegenheit an den Tag zu legen; auch weiß dann die Kokette schon, was sie bei solchen Vorfällen zu antworten hat; sie glaubt das Ding nicht sogleich, meint, der Herr wolle sie zum besten haben, er spiele den Romanhelden oder, wenn er dringend wird, und sie glaubt nach und nach überzeugt werden zu müssen, so kommt zuerst eine Bitte, ihrer Schwachheit zu schonen, ihr nicht ein Geständnis abzunötigen, wobei sie erröten müßte; und dann will der entzückte Liebhaber dem holden Engel um den Hals fallen und in Wonne dahinschmelzen; aber die Schöne protestiert feierlich gegen alle solche Freiheiten, verläßt sich überhaupt auf seine Ehre und Rechtschaffenheit, reicht ihm höchstens die Backe dar, teilt ihre Gunstverwilligungen in unendlich kleine Parzellen, um täglich nur um ein Haar breit dem Ziele näher rücken zu dürfen, damit der schöne Roman desto länger dauern möge, und wenn auf andre Art keine Zeit mehr zu gewinnen ist, muß ein kleiner Zwist dazwischen kommen, die völlige Entwicklung aufhalten und die Uhr für die Schäferstunde zurückstellen. Bei allen diesen konventionellen Gaukeleien aber empfinden dergleichen Leute gar nichts, lachen, wenn sie allein sind, des Possenspiels, das sie miteinander treiben, können vorauskalkulieren, wie weit sie morgen und übermorgen mit ihrem Geschäfte kommen müssen, und werden dick und fett bei ihrer Liebespein.

Ganz anders aber ist es mit einem paar unschuldigen Herzen, die, zum erstenmal vom wohltätigen Feuer der Liebe erwärmt, so gern ihren süßen, schuldlosen Gefühlen Luft machen möchten und immer nicht Mut fassen können, mit Worten zu sagen, was Augen und Gebärden oft schon so deutlich gesagt und beantwortet haben. Der Jüngling sieht die Geliebte zärtlich an; sie errötet; ihr Blick wird unruhig, unstet, wenn er mit einem andern Mädchen zu viel und zu freundlich redet; sein Auge möchte zürnen, er möchte gleichgültig vor ihr vorbeiblicken, wenn sie einem andern vertraulich etwas in das Ohr gesagt hat; man fühlt den Vorwurf, gibt augenblickliche Genugtuung, bricht plötzlich und fast unhöflich das Gespräch ab, welches den Argwohn erweckt hat; der Versöhnte dankt durch das zärtlichste Lächeln und durch die fröhlichste, plötzlich aufwachende Laune; man nimmt mit den Augen Verabredungen auf morgen, entschuldigt sich, warnt vor Beobachtern, erkennt sich gegenseitige Rechte aufeinander an - und hat sich doch noch mit keinem Wörtchen gesagt, was man füreinander fühlt. Allein man sucht von beiden Seiten ernstlich die Gelegenheit dazu; sie kommt, kommt oft, und man läßt sie ungenutzt vorbeistreichen, drückt sich höchstens einmal leise die Hand, und doch auch das nie ohne irgendeinen schicklichen Vorwand, sagt sich aber kein Wort, ist mißmutig, zweifelt an Gegenliebe und hat sich oft noch nicht gegeneinander erklärt, wenn man schon die Fabel der ganzen Stadt und der Gegenstand der schändlichsten Verleumdung ist. Ist endlich das längst im Busen pochende Bekenntnis den furchtsamen Lippen stotternd entflohn und mit gebrochenen, halb erstickten Worten, von einem bis in das Innerste dringenden Händedrucke begleitet, beantwortet worden, dann lebt man vollends erst ganz füreinander, ist so wenig um die übrige Welt bekümmert, sieht und hört nichts um sich her, ist in keiner Gesellschaft verlegen mit seiner Person, wenn nur der teure Gegenstand uns freundlich anlächelt, findet alles Ungemach des Lebens leicht zu ertragen an der Seite des Geliebten, glaubt nicht, daß es Krankheit, Armut, Druck und Not in der schönen Welt geben könnte, lebt mit aller Kreatur in Frieden, verachtet Gemächlichkeit, köstliche Speise, Schlaf. - O Ihr! wenn Ihr je so wonnevolle Zeiten verlebt habt, sprechet! ist auch ein süßrer Traum zu träumen möglich? Ist unter allen phantastischen Freuden des Lebens eine, die so unschuldig, so natürlich, so unschädlich wäre? Eine, die so überschwenglich glücklich, fröhlich, so friedenvoll machte? - Ach! daß dieser selige Zustand der Bezaubrung nicht ewig dauern kann, daß man oft nur gar zu unsanft aufgeschreckt wird aus diesem elysischen Schlummer!«


* Die Verirrungen des Philosophen, oder Geschichte Ludwigs von Seelberg, Teil I, Seite 108.

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Über den Umgang mit Menschen




Zweites Buch
Viertes Kapitel: Über den Umgang mit und unter Verliebten.
3) Glückseligkeit der ersten Liebe, im Gegensatz mit den Empfindungen eines Herzens, das schon oft Tausch und Handel getrieben.


1) Kurze Vorschrift, wie man mit Verliebten umgehn solle.
2) Warum man den Verliebten keine Vorschriften für ihren Umgang untereinander geben könne?
4) Eifersucht und Zwist unter Verliebten knüpfen das Hand fester, doch nicht die Eifersucht einer Kokette.
5) Ob Weiber oder Männer inniger und beständiger lieben?
6) Sei verschwiegen in der Liebe! Es gibt ein Glück, das man sich selbst kaum gesteht, und Gefälligkeiten, die ihren Wert verlieren, wenn sie erläutert werden.
7) Warnung vor übereilten Eheversprechungen.
8) Nach dem Bruche mit der Geliebten soll man edel handeln.