5) Ob Weiber oder Männer inniger und beständiger lieben?

Weiberfeinde schreien laut: das schöne Geschlecht liebe nie mit so gänzlich treuer Ergebung als wir Männer; Eitelkeit, Vorwitz, Lust an Abenteuern oder körperliches Bedürfnis sei es nur, was sie hinreiße zu uns, und man dürfe nicht länger auf Weibertreue rechnen, als so lange wir eine von diesen Leidenschaften und Trieben nach Zeit und Gelegenheit befriedigen könnten; andre hingegen lehren gerade das Gegenteil und beschreiben mit den reizendsten Farben die Beständigkeit, die Innigkeit und das Feuer eines weiblichen, von Liebe erfüllten Herzens. Jene eignen dem Geschlechte viel mehr Sinnlichkeit und Reizbarkeit als edlere Gefühle zu und sagen, es sei nur Grimasse, wenn Weiber ihre Männer glauben machten, sie hätten ein sehr kaltes Temperament; diese hingegen behaupten: die reinste, heiligste Liebe, ohne Begehren, ja! auf gewisse Art ohne Leidenschaft, diese göttliche Flamme, könne nur in weiblichen Seelen in ihrer ganzen Fülle wohnen. Wer von beiden Parteien recht hat, das mögen diejenigen entscheiden, denen eine größere Kenntnis des weiblichen Herzens - obgleich ich in dem Umgange mit Frauenzimmern viele Jahre hindurch kein unaufmerksamer Beobachter gewesen bin -, diejenigen, sage ich, mögen das entscheiden, denen diese größere Kenntnis, ein reiferes Alter und feinre Welterfahrung ein Recht geben, über den Charakter der Weiber kühler, unparteiischer, mit mehr Scharfsinn und mit gründlicherer Vernunft als ich zu urteilen und zu schreiben. Ich wage das nicht; auch sind es zwei verschiedene Fragen: aus welchen Quellen zuerst Weiberliebe zu entspringen pflegt, und: welche Eigenschaften nachher diese Liebe hat, wenn einmal die Seele davon ergriffen ist? Das aber getraue ich mir zu behaupten, ohne einem von beiden Geschlechtern zu nahe zu treten, daß wir Männer an Treue und gänzlicher Hingabe in der Liebe wohl schwerlich die Weiber übertreffen können. Die Geschichte aller Zeiten ist voll von Beispielen der Anhänglichkeit, der Überwindung aller Schwierigkeiten und Verachtung aller Gefahren, mit welcher ein Weib sich an ihren Geliebten kettet. Ich kenne kein höheres Glück auf der Welt, als so innig, so treu geliebt zu werden. Leichtsinnige Gemüter findet man unter Männern wie unter Frauenzimmern; Hang zur Abwechslung ist dem ganzen Menschengeschlechte eigen; neue Eindrücke größerer Liebenswürdigkeit, wahrer oder eingebildeter, können die lebhaftesten Empfindungen verdrängen; aber fast möchte ich sagen, die Fälle der Untreue wären häufiger bei Männern als bei Weibern, würden nur nicht so bekannt, machten weniger Aufsehn; wir wären wirklich schwerer auf immer zu fesseln, und es würde vielleicht nicht schwerhalten, die Ursachen davon anzugeben, wenn das hierhergehörte.

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Über den Umgang mit Menschen




Zweites Buch
Viertes Kapitel: Über den Umgang mit und unter Verliebten.
5) Ob Weiber oder Männer inniger und beständiger lieben?


1) Kurze Vorschrift, wie man mit Verliebten umgehn solle.
2) Warum man den Verliebten keine Vorschriften für ihren Umgang untereinander geben könne?
3) Glückseligkeit der ersten Liebe, im Gegensatz mit den Empfindungen eines Herzens, das schon oft Tausch und Handel getrieben.
4) Eifersucht und Zwist unter Verliebten knüpfen das Band fester, doch nicht die Eifersucht einer Kokette.
6) Sei verschwiegen in der Liebe! Es gibt ein Glück, das man sich selbst kaum gesteht, und Gefälligkeiten, die ihren Wert verlieren, wenn sie erläutert werden.
7) Warnung vor übereilten Eheversprechungen.
8) Nach dem Bruche mit der Geliebten soll man edel handeln.