3) Über den Soldatenstand und den Umgang mit Offiziers.

Ich komme jetzt zu dem Wehrstande. Wenn in unsern heutigen Kriegen noch Mann gegen Mann föchte und die Kunst, Menschen zu vertilgen, nicht so methodisch und maschinenmäßig getrieben würde; wenn allein persönliche Tapferkeit das Glück des Kriegs entschiede, und der Soldat nur für sein Vaterland, zu Verteidigung seines Eigentums und seiner Freiheit stritte, so würde auch freilich noch kein solcher Ton unter diesen Männern herrschen als jetzt, da zu einem geschickten Kriegshelden ganz andre Arten von Kenntnissen gehören, da ein paar neue Ressorts, nämlich Subordination und ein konventioneller Begriff von Ehre, auf gewisse Weise an die Stelle des kühnen Muts getreten sind und diese die Menschen zwingen müssen, da stehn zu bleiben und aus der Ferne auf sich schießen zu lassen, wo die Leidenschaften der Fürsten ihnen gebieten zu stehn und ihr Leben für wenig Groschen daran zu wagen. Dennoch war eine gewisse Rohigkeit, Zügellosigkeit und ein Hinaussetzen über alle Regeln der Moral und bürgerlichen Übereinkunft - gleich als wären diese Gesetze nur Kinder des Friedens - noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts fast der allgemeine Charakter eines Soldaten von hohem und niederm Range. In unsern Tagen aber sieht es damit ganz anders aus. Fast in allen europäischen Staaten findet man unter Männern und Jünglingen im Soldatenstande Personen, die durch Kenntnisse in allen Fächern der Wissenschaften und Künste, besonders in solchen, die zu ihrem Handwerke gehören, durch eine bescheidne, feine Aufführung, durch strenge Sittlichkeit, Sanftmut des Charakters und nützliche Anwendungen ihrer Muße zu Bildung des Geistes und Herzens sich der allgemeinen Achtung und Liebe wert machen. Ich würde also gar keine besondre Vorschriften über den Umgang mit Offizieren zu geben haben, wenn nicht teils so wie in allen Ständen also auch hier Ausnahmen vom Guten stattfänden, teils einige andre Rücksichten nicht mit Stillschweigen übergangen werden dürften; doch kann ich mich dabei kurz fassen.

Wer seinem Stande, seinem Alter oder seinen Grundsätzen nach sich weder aufziehn und beleidigen zu lassen, noch eine Beleidigung durch den Zweikampf auszutilgen Lust haben kann, der tut wohl, wenn er die Gelegenheit vermeidet, bei Spiel, Trunk oder andern dergleichen Fällen mit rohen Leuten vom Soldatenstande in Gemeinschaft zu kommen, oder, wenn er solchen Gelegenheiten nicht ausweichen kann, sich so behutsam, höflich und ernsthaft als möglich aufzuführen. Indessen kommt hiebei auch sehr viel auf den Ruf an, in welchen man sich gesetzt hat, und ein grader, fester, redlicher und verständiger Mann pflegt selbst von ausschweifenden, ungesitteten Leuten respektiert und geschont zu werden.

Überhaupt aber rate ich, im Reden und Handeln gegen Offiziers vorsichtig zu sein. Das Vorurteil von übel verstandner Ehre, das in den mehrsten Armeen, vorzüglich in der französischen, herrschend ist, und das von mancher andern Seite einen Nutzen stiften kann, der hier zu weitläufig zu entwickeln sein würde, befiehlt dem Offizier, auch nicht das kleinste zweideutige Wörtchen, das ihm gesagt wird, hinzunehmen, ohne Genugtuung durch Waffen zu fordern, und da hat denn vielmals ein Ausdruck, den man sich im gemeinen Leben erlauben dürfte, für ihn einen beleidigenden Sinn. Man darf zum Beispiel wohl sagen: »das war doch nicht gut«, aber keineswegs: »das war schlecht von Ihnen«, und doch muß das, was nicht gut ist, notwendig schlecht sein. Mit dieser Sprache der Übereinkunft soll man sich also auch bekannt machen, wenn man mit Personen, denen dieselbe Gesetze auflegt, umgehn will.

Daß man in Gegenwart eines Offiziers nie, auch nicht das mindeste, zum Nachteil dieses Standes vorbringen dürfe, versteht sich wohl um so mehr von selbst, da es in der Tat nötig ist, daß der Soldat seinen Stand für den ersten und wichtigsten in der Welt halte. - Denn was soll ihn denn bewegen, sich einer so beschwerlichen und gefährlichen Lebensart zu widmen, wenn es nicht die Ansprüche auf Ruhm und Ehre sind?

Endlich pflegt bei dem Soldatenstande eine Art von offnem, treuherzigem, nicht sehr feierlichem, sondern munterm, freiem und durch gesitteten Scherz gewürztem Betragen uns beliebt zu machen, mit welcher man daher vertraut werden muß, wenn man mit dieser Klasse leben will.

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Über den Umgang mit Menschen

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Auch gut: Der neue Knigge

Drittes Buch
Über den Umgang mit Leuten von allerlei Ständen im bürgerlichen Leben.
3) Über den Soldatenstand und den Umgang mit Offiziers.


1) Etwas von Ärzten; welche man wählen und wie man sich gegen sie betragen solle?
2) Über Juristen und die Art, mit ihnen zu verfahren.
4) Über Kaufmannschaft, den Umgang und den Handel mit großen und kleinen Kaufleuten. Etwas vom Pferdehandel.
5) Etwas über Buchhändler, Nachdrucker und dergleichen.
6) Über Sprachmeister, Musikmeister und dergleichen.
7) Von dem Umgange mit Künstlern und Handwerksleuten.
8) Über Juden und die Art mit ihnen zu verfahren.
9) Über die Art, wie man Bauern und überhaupt Landleute behandeln müsse.

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