8) Über Juden und die Art mit ihnen zu verfahren.

In den mehrsten Provinzen von Deutschland lebt der Bauer in einer Art von Druck und Sklaverei, die wahrlich oft härter ist als die Leibeigenschaft desselben in andern Ländern. Mit Abgaben überhäuft, zu schweren Diensten verurteilt, unter dem Joche grausamer, rauhherziger Beamter seufzend, werden sie des Lebens nie froh, haben keinen Schatten von Freiheit, kein sicheres Eigentum und arbeiten nicht für sich und die Ihrigen, sondern nur für ihre Tyrannen.

Wen nun die Vorsehung in die glückliche Lage gesetzt hat, zu Erleichterung dieser so sehr gedrückten und doch so wichtigen, so nützlichen Menschenklasse etwas beitragen zu können, oh der schaffe sich doch die süße Wonne, in den kleinen Hütten der Landleute Freude zu verbreiten und seinen Namen von Kindern und Enkeln mit Segen genannt zu hören.

Wohl freilich sind die Bauern zum Teil so hartnäckige, zänkische, widerspenstige und unverschämte Geschöpfe, daß sie aus der geringsten Wohltat eine Schuldigkeit machen, daß sie nie zufrieden sind, immer klagen, immer mehr haben wollen, als man ihnen zugestehn kann; allein sind wir nicht selbst durch lange fortgesetzte unedle Behandlung und Vernachlässigung ihrer Bildung daran Schuld, daß niederträchtige Gesinnungen bei ihnen herrschend werden? Und gibt es nicht einen Mittelweg zwischen übertriebener Nachsicht und despotischer Strenge und Grausamkeit? Ich verlange nicht, daß ein Landes- oder Gutsherr sich des Rechts begeben soll, seine Untertanen zu gewissen schuldigen Diensten zu brauchen; allein er soll nicht, damit er zum Beispiel das grausame Vergnügen einer Hirsch- und Schweinemetzelei schmecke, den Bauern zu einer Zeit, wo seine Gegenwart zu Hause ihn und seine Familie gegen Mangel schützen muß, mehr Tage hintereinander in strenger Kälte mit leerem Magen herumlaufen und Ohren und Nasen erfrieren lassen. Er soll ihm die schuldigen Abgaben nicht schenken; aber er soll Nachsicht mit seinen Umständen haben, Rücksicht auf erlittene Unglücksfälle nehmen und darauf achten, daß die Beamten die Gelder zu einer Zeit eintreiben, wo es dem armen Landmanne weniger schwer wird, bare Münze aufzutreiben, ohne sich mit Leib und Seele dem Juden oder dem bösen Feinde zu verschreiben.

Man schwätzt soviel von Verbesserung der Dorfschulen und Aufklärung des Landvolks; allein überlegt man auch wohl immer genau genug, welch ein Grad von Aufklärung für den Landmann, besonders für den von niedrigem Stande taugt? Daß man den Bauern nach und nach mehr durch Beispiele als durch Demonstrationen zu bewegen suche, von manchen ererbten Vorurteilen in der Art des Feldbaues und überhaupt in Führung des Haushalts zurückzukommen; daß man durch zweckmäßigen Schulunterricht die törichten Grillen, den dummen Aberglauben, den Glauben an Gespenster, Hexen und dergleichen zu zerstören trachte; daß man die Bauern gut schreiben, lesen und rechnen lehre; das ist löblich und nützlich. Ihnen aber allerlei Bücher, Geschichten und Fabeln in die Hände zu spielen; sie zu gewöhnen, sich in eine Ideenwelt zu versetzen; ihnen die Augen über ihren armseligen Zustand zu öffnen, den man nun einmal nicht verbessern kann; sie durch zu viel Aufklärung unzufrieden mit ihrer Lage, sie zu Philosophen zu machen, die über ungleiche Austeilung der Glücksgüter deklamieren; ihren Sitten Geschmeidigkeit und den Anstrich der feinen Höflichkeit zu geben - das taugt wahrlich nicht. Ohne alle diese künstlichen Hilfsmittel trifft man indessen unter alten Landleuten Menschen von so unverfälschtem Sinne, von so hellem, heiterm Kopfe und von so festem Charakter an, daß diese manchen hochstudierten Herrn beschämen könnten. Im ganzen betrage man sich gegen den Bauern treuherzig, grade, offen, ernsthaft, wohlwollend, nicht geschwätzig, konsequent, immer gleich, und man wird sich seine Achtung, sein Zutrauen erwerben und viel über ihn vermögen.

Von Land-Edelleuten und andern Personen höhere Standes, die in den Dörfern leben, gilt zum Teil dasselbe. Man nehme keinen Residenzton mit zu ihnen hin, hüte sich vor leeren Komplimenten, nehme teil an ihren ländlichen Freuden, Sorgen und Geschäften und verbanne allen Zwang im Umgange mit ihnen, ohne jedoch zu schmutziger, pöbelhafter Aufführung herabzusinken, so wird man ihnen als Gast, Nachbar, Freund und Ratgeber willkommen sein.

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Über den Umgang mit Menschen

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Auch gut: Der neue Knigge

Drittes Buch
Über den Umgang mit Leuten von allerlei Ständen im bürgerlichen Leben.
9) Über die Art, wie man Bauern und überhaupt Landleute behandeln müsse.


1) Etwas von Ärzten; welche man wählen und wie man sich gegen sie betragen solle?
2) Über Juristen und die Art, mit ihnen zu verfahren.
3) Über den Soldatenstand und den Umgang mit Offiziers.
4) Über Kaufmannschaft, den Umgang und den Handel mit großen und kleinen Kaufleuten. Etwas vom Pferdehandel.
5) Etwas über Buchhändler, Nachdrucker und dergleichen.
6) Über Sprachmeister, Musikmeister und dergleichen.
7) Von dem Umgange mit Künstlern und Handwerksleuten.
8) Über Juden und die Art mit ihnen zu verfahren.
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