2) Inwiefern zur Freundschaft Gleichheit des Alters, des Standes, der Denkungsart und der Fähigkeiten erfordert werde?

Es ist ein ziemlich allgemein angenommener Grundsatz, daß zu vollkommner Freundschaft Gleichheit des Standes und der Jahre erfordert werde. Die Liebe, sagt man, sei blind; sie feßle durch unerklärbaren Instinkt Herzen aneinander, die dem kalten Beobachter gar nicht füreinander geschaffen zu sein schienen, und da sie nur durch Gefühle, nicht durch Vernunft geleitet werde, so fallen bei ihr alle Rücksichten des Abstandes, den äußere Umstände erzeugen, weg. Die Freundschaft hingegen beruhe auf Harmonie in Grundsätzen und Neigungen; nun aber habe jedes Alter sowie jeder Stand seine ihm eigene Stimmung, nach der Verschiedenheit der Erziehung und Erfahrungen, und desfalls finde unter Personen von ungleichen Jahren und ungleichen bürgerlichen Verhältnissen keine so vollkommne Harmonie statt, als zu Knüpfung des Freundschaftsbandes erfordert werde.

Diese Bemerkungen enthalten viel Wahres, doch habe ich schon zärtliche und dauerhafte Freundschaften unter Leuten wahrgenommen, die weder dem Alter noch dem Stande nach sich ähnlich waren, und wenn man sich an dasjenige erinnert, was ich zu Anfange des ersten Kapitels in diesem Teile gesagt habe, so wird man dies leicht erklären können. Es gibt junge Greise und alte Jünglinge; feine Erziehung, Mäßigkeit in Wünschen, Freiheit in Denkungsart und Unabhängigkeit der Lage erheben den Bettler zu einem Mann von hohem Stande, so wie verachtungswürdige Sitten, unedle Begierden und niedrige Gesinnungen selbst einen Fürsten zu dem Pöbel herabwürdigen können. Das ist aber zuverlässig gewiß, daß zu einer dauerhaften, innigen Freundschaft Gleichheit in Grundsätzen und Empfindungen erfordert wird, und daß dieselbe auch bei einer zu großen Verschiedenheit in Fähigkeiten und Kenntnissen nicht leicht Platz finden kann. Fällt nicht eine der höchsten Glückseligkeiten bei solcher Verbindung, die Austauschung von Ideen und Meinungen, die Mitteilung verschwisterter Gefühle, die Berichtigung dunkler Ahnungen und Zurechtweisung in wichtigen Fällen alsdann weg, wenn unser Freund sich durchaus nicht in unsre Lage hineindenken kann, wenn ihm unsre Empfindungen gänzlich fremd sind? Es gibt Leute, die man nur bewundern darf, an welchen man immer hinaufschauen muß, und diese Menschen verehrt man, aber - man liebt sie nicht, oder man verzweifelt wenigstens daran, von ihnen wiedergeliebt zu werden. In der Freundschaft müssen beide Teile gleich viel geben und empfangen können. Jedes zu große Übergewicht von einer Seite, alles, was die Gleichung hebt, stört die Freundschaft.

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Über den Umgang mit Menschen


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Auch gut: Der neue Knigge

Zweites Buch
Siebentes Kapitel: Über den Umgang unter Freunden.
2) Inwiefern zur Freundschaft Gleichheit des Alters, des Standes, der Denkungsart und der Fähigkeiten erfordert werde?

1) Über die Wahl der Freunde, in der Jugend und im reifern Alter.
3) Warum sehr vornehme und sehr reiche Leute wenig Sinn für Freundschaft haben:
4) Rechne nie auf die dauerhafte Freundschaft solcher Menschen, die von unedlen, heftigen oder torichen Leidenschaften regiert werden!
5) Ob es so schwer sei, treue Freunde zu finden? Wie sie beschaffen sein müssen? Ob man deren viele antreffe?
6) Bestimmung der Grenzen der Anhänglichkeit für einen Freund.
7) Freunde in der Not.
8) Ob man seinen Freunden sein Unglück klagen solle?
9) Was wir tun sollen, wenn uns ein Freund seine Not klagt?
10) Grenzen der Vertraulichkeit.
11) Schmeichelei muß unter Freunden wegfallen, nicht aber Gefälligkeit. Man muß den Mut haben, Wahrheit zu sagen und anzuhören.
12) Vorsichtigkeit im Fordern und Annehmen von Freundschaftsdiensten, Wohltaten und Gefälligkeiten.
13) Wie man es anzufangen habe, daß wir unserm Freunde nicht überlästig werden, und daß der öftere, zu vertrauliche Umgang nicht widrige Eindrücke erzeuge? Daß man auch Trennung von geliebten Freunden ertragen lernen müsse.
14) Über den Briefwechsel mit abwesenden Freunden.
15) Über Eifersucht in der Freundschaft.
16) Alles, was Deinem Freunde angehört, sei Dir heilig!
17) Man soll seine Freunde nicht nach der Wärme beurteilen, die sie äußerlich zeigen.
18) Man soll nicht ängstlich um Freunde werben.
19) Es gibt Menschen, die gar keine vertrauten Freunde haben, und andre, die jedermanns Freunde sind.
20) Vorschriften über die Aufführung, wenn Mißverständnisse unter Freunden entstehen.
21) Wie aber, wenn uns Freunde täuschen, verlassen, oder wir uns in unsrer Meinung von ihnen betrogen glauben?
22) Betragen nach dem Bruche mit einem uns würdig befundenen Freunde.

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