2) Alte Leuten sollen die Freuden der jüngeren nicht stören, sondern so viel möglich sich in die frühern Jahre zurückdenken.

Selten nehmen ältere Leute so billige Rücksicht, daß sie sich in Gedanken an die Stelle jüngerer Personen setzen, die Freuden derselben nicht störten, sondern vielmehr zu befördern und durch Teilnahme lebhafter zu machen suchten. Sie denken sich nicht in ihre eignen Jugendjahre zurück; Greise verlangen von Jünglingen dieselbe ruhige, nüchterne, kaltblütige Überlegung, Abwägung des Nützlichen und Nötigen gegen das Entbehrliche, dieselbe Gesetztheit, die ihnen Jahre, Erfahrung und physische Herabspannung gegeben haben. Die Spiele der Jugend scheinen ihnen unbedeutend, die Scherze leichtfertig. Es ist aber wahrlich erstaunlich schwer, sich so ganz in die Lage zurückzudenken, in welcher wir vor zwanzig oder dreißig Jahren waren, und bei dem besten Willen entstehen daraus manche unbilligen Urteile und manche Übereilungen bei Erziehung der Jugend. - O lasset uns doch lieber selbst so lange jung bleiben, als möglich ist, und wenn der Winter unsers Lebens unser Haar mit Schnee deckt, und nun das Blut langsamer durch die Adern rollt, das Herz nicht mehr so warm und laut im Busen pocht, doch mit teilnehmender Wonne auf unsre jüngern Brüder herabsehn, die noch Frühlingsblumen pflücken, wenn wir, dick eingehüllt, am häuslichen, väterlichen Herde Ruhe suchen. Lasset uns nicht durch plattes Räsonnement die süßen Freuden der Phantasie niederpredigen. Wenn wir zurückschauen auf jene seligen Tage, wo ein einziger Liebesblick des holden Mädchens, das jetzt eine alte runzlige Matrone ist, uns bis in den dritten Himmel entzückte; wo bei Musik und Tanz jede Nerve in uns widerhallte; wo Scherz und Witz jeden trüben Gedanken verjagten; wo süße Träume, Ahnungen, Hoffnungen unsre Existenz froh machten - o, so lasset uns doch diese glückliche Periode bei unsern Kindern zu verlängern trachten und so viel möglich teilnehmen an ihren Wonnegefühlen. Mit zärtlicher Ehrerbietung drängen sich dann Kind, Knabe, Mädchen und Jüngling um den freundlichen alten Mann, der sie zu unschuldiger Fröhlichkeit aufmuntert. Ich bin als Jüngling mit so liebenswürdigen alten Damen umgegangen, daß ich wahrlich, wenn ich die Wahl gehabt hätte, an ihrer Seite lieber mein Leben hingebracht haben würde als bei manchen hübschen, jungen Mädchen; und wenn bei großen Tafeln mich als einen jungen Menschen die Reihe traf, neben einer dummen Schönheit Platz zu nehmen, so habe ich oft den Mann beneidet, dem sein Rang ein Recht gab, der Nachbar einer verständigen, muntern alten Frau zu sein.

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Über den Umgang mit Menschen


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Zweites Buch
Erstes Kapitel: Von dem Umgange unter Personen von verschiedenem Alter.
2) Alte Leuten sollen die Freuden der jüngeren nicht stören, sondern so viel möglich sich in die frühern Jahre zurückdenken.


1) Der interessanteste Umgang hat wohl unter Menschen von gleichen Jahren statt, doch verrücken Temperament, Erziehung u.dgl. auch hier die Grenzen.
3) Sie sollen aber nicht auf eine lächerliche Art jung scheinen wollen.
4) Ihr Umgang muß der Jugend lehrreich sein.
5) Es ist nicht mehr Mode, ältern Leuten Achtung zu beweisen; die heutige Generation ist weit klüger als die Väter waren; der Verfasser gehört aber noch zur alten Welt.
6) Regeln, wie sich Jünglinge gegen alte Leute betragen sollen.
7) Über den Umgang mit Kindern.

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