5) Es ist nicht mehr Mode, ältern Leuten Achtung zu beweisen; die heutige Generation ist weit klüger als die Väter waren; der Verfasser gehört aber noch zur alten Welt.

Soviel über das Betragen bejahrter Personen gegen jüngere Leute. Jetzt noch etwas von der Aufführung der Jünglinge im Umgange mit Männern und Greisen.

In unsern von Vorurteilen so säuberlich gereinigten, aufgeklärten Zeiten werden manche Empfindungen, welche Mutter Natur uns eingeprägt hat, wegräsoniert. Dahin gehört denn auch das Gefühl der Ehrerbietung gegen das hohe Alter. Unsre Jünglinge werden früher reif, früher klug, früher gelehrt; durch fleißige Lektüre, besonders der reichhaltigen Journale, ersetzen sie, was ihnen an Erfahrung und Fleiß mangeln könnte; dies macht sie so weise, über Dinge entscheiden zu können, wovon man ehemals glaubte, es würde vieljähriges, emsiges Studium dazu erfordert, nur einigermaßen klar darin zu sehn. Daher entsteht auch jene edle Selbstigkeit und Zuversicht, die schwächre Köpfe für Unverschämtheit halten, jene Überzeugung des eignen Werts, mit welcher unbärtige Knaben heutzutage auf alte Männer herabsehen, und alles mündlich und schriftlich überschreien, was ihnen in den Weg kommt. Das Höchste, worauf ein Mann von ältern Jahren Anspruch machen darf, ist gnädige Nachsicht, züchtigende Kritik, Zurechtweisung von seinen unmündigen Kindern und Enkeln, und Mitleiden mit ihm, der das Unglück gehabt hat, nicht in diesen glücklichen Tagen, in welchen die Weisheit ungesät und ungepflegt wie Manna vom Himmel regnet, geboren worden zu sein. Ich, der ich auch das Schicksal gehabt habe, in einem Jahre zur Welt zu kommen, in welchem der größte Teil der Polyhistoren, von denen ich hier rede, ihre jetzt so scharfen Zähne noch am Wolfszahn übten oder gar noch Embryonen waren, ich habe es nicht zu jenem Grade der Aufklärung bringen können, und muß daher um Verzeihung bitten, wenn ich hier einige Regeln zu geben wage, die ziemlich nach der alten Mode schmecken werden. - Doch zur Sache!

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Über den Umgang mit Menschen


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Zweites Buch
Erstes Kapitel: Von dem Umgange unter Personen von verschiedenem Alter.
5) Es ist nicht mehr Mode, ältern Leuten Achtung zu beweisen; die heutige Generation ist weit klüger als die Väter waren; der Verfasser gehört aber noch zur alten Welt.


1) Der interessanteste Umgang hat wohl unter Menschen von gleichen Jahren statt, doch verrücken Temperament, Erziehung u.dgl. auch hier die Grenzen.
2) Alte Leuten sollen die Freuden der jüngeren nicht stören, sondern so viel möglich sich in die frühern Jahre zurückdenken.
3) Sie sollen aber nicht auf eine lächerliche Art jung scheinen wollen.
4) Ihr Umgang muß der Jugend lehrreich sein.
6) Regeln, wie sich Jünglinge gegen alte Leute betragen sollen.
7) Über den Umgang mit Kindern.

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