10) Man messe sein Betragen gegen Hofleute pünktlich nach dem ihrigen gegen uns ab! Über Klatschereien.

Man messe sein Betragen gegen Hofleute pünktlich nach dem ihrigen gegen uns ab und gehe ihnen keinen Schritt entgegen. Diese Menschengattung nimmt eine Handbreit, wo man ihnen einen Fingerbreit einräumt. Man erwidere Stolz mit Stolz, Kälte mit Kälte, Freundlichkeit mit Freundlichkeit, gebe aber nicht mehr und nicht weniger als man empfängt. Die Befolgung dieser Vorsicht hat mannigfaltigen Nutzen. Die feinen Weltleute sind wie ein Rohr, das vom Winde bewegt wird. Da sie selbst so wenig Bewußtsein innerer Würde haben, so beruht ihre ganze Existenz auf ihrem äußern Ruf. Sie werden sich an Dich schließen, sobald sie sehen, daß Du in gutem Lichte wandelst. Aber wenn Du nicht durch die niedrigste Schmeichelei und Preisgebung alle alten Weiber beiderlei Geschlechts auf Deine Seite ziehst, so wird bald einmal eine Lästerzunge etwas Nachteiliges gegen Dich aussprechen. Kaum wird ein solches Gerücht herumlaufen, so werden jene Sklaven lauern, welche Wirkung dies auf das Publikum macht, und faßt es Wurzel, so werden sie den Kopf um ein paar Zoll höher gegen Dich tragen. Macht Dich das unruhig, ängstlich, behandelst Du sie nach Deinem Herzen wie Leute, deren Freundschaft Du gern erhalten möchtest, so werden sie immer unbescheidener und helfen die elende Klatscherei weitertragen, woraus Dir denn, so geringe auch die Sache scheinen möchte, mancherlei Verdruß erwachsen kann. Wirf aber auf den ersten, der Dir kalt begegnet, einen verächtlichen Blick, so wird er zurückspringen, für seinen eigenen Ruf beben, kein nachteiliges Wort von Dir über seine Zunge kommen lassen und sich vor dem Manne beugen, von dem er glaubt, er müsse geheimen Schutz haben, weil er so fest steht, so gleichgültig gegen die seligmachende Stimme des hohen Pöbels ist. Ja gib ihm doppelt wieder, was er wagt, Dir zu bieten. Laß Dich durch kein freundliches Wörtchen wieder heranlocken, bis er gänzlich zu Kreuze kriecht. Ich, der ich nun keine Pläne mehr auf das Glück mache, in der großen Welt zu glänzen, folge darin eben keinem festen Systeme, sondern meiner jedesmaligen Gemütsstimmung und Laune. An echte, unverfälschte Herzensergießung gewöhnt, voll Wärme für alles, was Freundschaft und Zuneigung heißt, weniger darum bekümmert, geehrt als geliebt zu sein, beunruhigt mich - ich schäme mich dieses Geständnisses nicht - beunruhigt, verstimmt mich jedes kalte Betragen von Leuten, die mir gute Eigenschaften zu haben scheinen, mehr als mir, nach so mancher Erfahrung in der großen Welt, zu verzeihn ist. Zu andern Zeiten aber behandle ich auch das Ding von der lustigen Seite und freue mich herzlich, indem ich höre, daß das müßige Publikum sich auf Unkosten meiner Wenigkeit beschäftigt, darüber, daß dies grade einen Mann trifft, der nur als Volontär in der großen Welt dient und kein Avancement verlangt. Indessen ist, was ich meinem Temperamente nach tue, darum noch nicht gut getan. Am besten ist es gewiß, über dergleichen und über Klatschereien aller Art wenigstens nicht die geringste Unruhe zu zeigen, mit niemand weiter darüber zu reden und sich auf keine Explikationen einzulassen. Dann ist in acht Tagen das Märchen vergessen, da auf jede andre Art hingegen die Sache ärger gemacht wird.

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Über den Umgang mit Menschen

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Drittes Buch
Über den Umgang mit Hofleuten und ihresgleichen.
10) Man messe sein Betragen gegen Hofleute pünktlich nach dem ihrigen gegen uns ab! Über Klatschereien.


1) Hierher gehören die Bemerkungen über den Umgang mit Leuten, die in der sogenannten großen Welt leben, überhaupt. Bild der dort herrschenden Sitten.
2) Wer da kann, der bleibe fern von Höfen und großen Zirkeln! Und das steht öfter in unsrer Gewalt, als man gemeiniglich glaubt.
3) Will oder muß man aber in der großen Welt auf immer oder auf einige Zeit leben, ohne den Ton derselben annehmen zu können, so gibt es doch Mittel, sich geachtet zu machen. Welche sind diese?
4) Lebt man endlich immer in der großen Welt, so soll man sich in derselben nicht auszeichnen.
5) Wie weit man in Nachahmung der Hofsitten gehen dürfe?
6) Etwas über den heutigen Hofton junger Leute.
7) Verachte nicht alles, was bloß konventionellen Wert bat!
8) Der beßre Mann wird in der großen Welt nicht leicht unangetastet bleiben. Betragen dabei.
9) Sei in der großen Welt zuversichtlich frei und mache Dich gelten, doch ohne Unverschämtheit und Prahlerei!
11) Man sei höflich gegen sie, mache sich aber fürchten, setze sich in Ansehn und Würde und sage ihnen nach Gelegenheit die Wahrheit!
12) Noch einige Vorsichtigkeitsregeln über Vertraulichkeit und Offenherzigkeit!
13) Wieviel größre Vorsicht noch derjenige beobachten müsse, welcher nicht bloß in der großen Welt leben, sondern auch in derselben wirksam sein will?
14) Wozu das Leben in der großen Welt nützen könne?
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