9) Sei in der großen Welt zuversichtlich frei und mache Dich gelten, doch ohne Unverschämtheit und Prahlerei!

In der großen Welt ist der oben entwickelte Grundsatz vorzüglich nicht außer Augen zu lassen, nämlich daß jedermann nur so viel gilt, als er sich selbst gelten macht. Man zeige sich also frei, zuversichtlich, seiner Sache gewiß. Man lasse die Leute nicht einmal ahnen, daß es möglich wäre, man könne uns zurücksetzen, sich unsers Umgangs schämen, in unsrer Gesellschaft Langeweile haben. Hofleute und ihresgleichen pflegen die Grade ihrer Höflichkeit und Aufmerksamkeit gegen uns darnach abzumessen, in welcher äußern Achtung wir in den vornehmen Zirkeln stehen. Man mache sich also da gelten, mache sich eine gewisse Aisance eigen, die man nur durch Übung erlernt, die sehr unterschieden von Unverschämtheit, Zudringlichkeit und Prahlerei ist und die vorzüglich in einem ruhigen, leidenschaftsfreien, anständigen, gleichmütigen Betragen, das planlos und ohne Forderungen zu sein scheint, besteht, und zu welchem man nie gelangt, wenn unsre Eitelkeit allerorten Glanz sucht und wenn im Grunde des Herzens unser eigener Beifall uns nicht mehr wert ist als die Bewunderung, womit leere Köpfe uns beehren.

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Über den Umgang mit Menschen

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Drittes Buch
Über den Umgang mit Hofleuten und ihresgleichen.
9) Sei in der großen Welt zuversichtlich frei und mache Dich gelten, doch ohne Unverschämtheit und Prahlerei!


1) Hierher gehören die Bemerkungen über den Umgang mit Leuten, die in der sogenannten großen Welt leben, überhaupt. Bild der dort herrschenden Sitten.
2) Wer da kann, der bleibe fern von Höfen und großen Zirkeln! Und das steht öfter in unsrer Gewalt, als man gemeiniglich glaubt.
3) Will oder muß man aber in der großen Welt auf immer oder auf einige Zeit leben, ohne den Ton derselben annehmen zu können, so gibt es doch Mittel, sich geachtet zu machen. Welche sind diese?
4) Lebt man endlich immer in der großen Welt, so soll man sich in derselben nicht auszeichnen.
5) Wie weit man in Nachahmung der Hofsitten gehen dürfe?
6) Etwas über den heutigen Hofton junger Leute.
7) Verachte nicht alles, was bloß konventionellen Wert bat!
8) Der beßre Mann wird in der großen Welt nicht leicht unangetastet bleiben. Betragen dabei.
10) Man messe sein Betragen gegen Hofleute pünktlich nach dem ihrigen gegen uns ab! Über Klatschereien.
11) Man sei höflich gegen sie, mache sich aber fürchten, setze sich in Ansehn und Würde und sage ihnen nach Gelegenheit die Wahrheit!
12) Noch einige Vorsichtigkeitsregeln über Vertraulichkeit und Offenherzigkeit!
13) Wieviel größre Vorsicht noch derjenige beobachten müsse, welcher nicht bloß in der großen Welt leben, sondern auch in derselben wirksam sein will?
14) Wozu das Leben in der großen Welt nützen könne?

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