6) Etwas über den heutigen Hofton junger Leute.

Übrigens gestehe ich - es bleibt aber unter uns - daß der Ton, welcher jetzt unter unsern ganz jungen Leuten ziemlich allgemein an Höfen und in der feinen Welt eingeschlichen ist, mir gar nicht so gefallen will wie der, welcher vor etwa zwanzig Jahren herrschte. Viele von ihnen kommen mir äußerst ungeschliffen und plump vor; es scheint mir, als suchten sie etwas darin, Bescheidenheit, Höflichkeit und Delikatesse zu beleidigen, stumm, ungefällig gegen Damen und Fremde zu sein, selbst ihren Körper zu vernachlässigen, ohne alle Grazie beim Tanze herumzuspringen, krumm und schief und gebückt zu gehn, keine Kunst, keine Wissenschaft gründlich zu lernen, ungeachtet aller Mühe, welche die neuern Pädagogen anwenden, und ungeachtet des vortrefflichen Beispiels, das sie der Jugend in Höflichkeit, Bescheidenheit und Gründlichkeit geben. Es gibt freilich einen Bocksbeutel, einen Zwang und eine Steifigkeit im Umgange, die in vorigen Zeiten in Deutschland herrschend waren, und wovon es ein Glück ist, daß wir anfangen, sie abzulegen; aber edler Anstand ist nicht Steifigkeit, verbindliche Höflichkeit und Aufmerksamkeit nicht Bocksbeutel, Grazie nicht Zwang, und echtes Talent, wahre Geschicklichkeit nicht Pedanterie. Und man sehe auch die papiernen Männchen an, wie Überdruß und Langeweile auf ihrer früh sich runzelnden Stirne wohnen, wie sie unfähig sind, von ganzem Herzen froh zu werden, wie sie in den schönsten Jahren des Lebens schon bei den unschuldigen Freuden der Jugend Ekel empfinden. - Doch ich habe Hoffnung, daß es bald wieder besser damit werden soll, und ohne Stolz auf unsre Vaterstadt kann ich es wohl sagen, wir haben hier eine liebenswürdige, wohlerzogene Jugend in allen Klassen und Ständen aufzuweisen.

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Über den Umgang mit Menschen

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Auch gut: Der neue Knigge

Drittes Buch
Über den Umgang mit Hofleuten und ihresgleichen.
6) Etwas über den heutigen Hofton junger Leute.


1) Hierher gehören die Bemerkungen über den Umgang mit Leuten, die in der sogenannten großen Welt leben, überhaupt. Bild der dort herrschenden Sitten.
2) Wer da kann, der bleibe fern von Höfen und großen Zirkeln! Und das steht öfter in unsrer Gewalt, als man gemeiniglich glaubt.
3) Will oder muß man aber in der großen Welt auf immer oder auf einige Zeit leben, ohne den Ton derselben annehmen zu können, so gibt es doch Mittel, sich geachtet zu machen. Welche sind diese?
4) Lebt man endlich immer in der großen Welt, so soll man sich in derselben nicht auszeichnen.
5) Wie weit man in Nachahmung der Hofsitten gehen dürfe?
7) Verachte nicht alles, was bloß konventionellen Wert bat!
8) Der beßre Mann wird in der großen Welt nicht leicht unangetastet bleiben. Betragen dabei.
9) Sei in der großen Welt zuversichtlich frei und mache Dich gelten, doch ohne Unverschämtheit und Prahlerei!
10) Man messe sein Betragen gegen Hofleute pünktlich nach dem ihrigen gegen uns ab! Über Klatschereien.
11) Man sei höflich gegen sie, mache sich aber fürchten, setze sich in Ansehn und Würde und sage ihnen nach Gelegenheit die Wahrheit!
12) Noch einige Vorsichtigkeitsregeln über Vertraulichkeit und Offenherzigkeit!
13) Wieviel größre Vorsicht noch derjenige beobachten müsse, welcher nicht bloß in der großen Welt leben, sondern auch in derselben wirksam sein will?
14) Wozu das Leben in der großen Welt nützen könne?

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