14) Wozu das Leben in der großen Welt nützen könne?

Und nun zum Schlusse dieses Kapitels auch etwas über den Nutzen, den uns der Umgang mit Menschen in der großen Welt gewährt. Er ist wahrlich nicht unbeträchtlich. Vorschriften, welche uns auf die erlaubten Sitten der feinern Sozietät verweisen, sind freilich keine Grundsätze der Moral, sondern nur der Übereinkunft; allein eben diese Übereinkunft beruht doch darauf, daß man suche, sich und andern in einer zwangvollen Lage, deren Ungemächlichkeit wir nun einmal nicht ganz aus dem Wege räumen können, seinen Zustand so leidlich als möglich zu machen, ohne dazu solche Mittel zu ergreifen, die unsern innern Wert auf das Spiel setzen. Dieser innre Wert aber, der wie ein Schatz unter der Erde immer, auch verborgen, Gold bleibt, kann doch Witwen und Waisen nähren und Monarchen und Reiche zum Wohl der Welt in Wirksamkeit setzen, wenn er hervorgeholt und durch den Stempel der Konvention in Umlauf gebracht, wenn er allgemein anerkannt wird - anerkannt von denen, die sich auf reines Gold verstehen, und anerkannt von denen, die nur auf das Gepräge achten. - Also wünschte ich, man eiferte nicht so heftig gegen den wahren feinen Weltton. Er lehrt uns, die kleinen Gefälligkeiten nicht außer acht zu lassen, die das Leben süß und leicht machen. Er erweckt in uns Aufmerksamkeit auf den Gang des menschlichen Herzens, schärft unsern Beobachtungsgeist, gewöhnt uns daran, ohne zu kränken und ohne gekränkt zu werden, mit Menschen aller Art leben zu können. Der echte und zugleich redliche alte Hofmann verdient wahrlich Verehrung, und man braucht nicht in die Wüsten zu fliehn noch sich in Studierzimmern zu vergraben, um auf den Titel eines Philosophen Anspruch machen zu dürfen. Ja ohne einige Kenntnis der großen Welt hilft uns alle Stubengelehrsamkeit, alle Menschenkunde aus Büchern sehr wenig. Ich rate also jedem jungen Manne, der edeln Ehrgeiz, Durst nach Welt- und Menschenkenntnis und Begierde hat, nützlich und tätig zu sein, wenigstens auf einige Zeit den größere Schauplatz zu betreten, wäre es auch nur, um Stoff zu sammeln zu Beobachtungen, die einst im Alter seinen Geist beschäftigen und ihn in den Stand setzen, seinen Kindern und Enkeln, die vielleicht bestimmt sind, an Höfen oder in großen Städten ihr Glück zu suchen, weise Lehren zu geben.

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Über den Umgang mit Menschen

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Auch gut: Der neue Knigge

Drittes Buch
Über den Umgang mit Hofleuten und ihresgleichen.
14) Wozu das Leben in der großen Welt nützen könne?


1) Hierher gehören die Bemerkungen über den Umgang mit Leuten, die in der sogenannten großen Welt leben, überhaupt. Bild der dort herrschenden Sitten.
2) Wer da kann, der bleibe fern von Höfen und großen Zirkeln! Und das steht öfter in unsrer Gewalt, als man gemeiniglich glaubt.
3) Will oder muß man aber in der großen Welt auf immer oder auf einige Zeit leben, ohne den Ton derselben annehmen zu können, so gibt es doch Mittel, sich geachtet zu machen. Welche sind diese?
4) Lebt man endlich immer in der großen Welt, so soll man sich in derselben nicht auszeichnen.
5) Wie weit man in Nachahmung der Hofsitten gehen dürfe?
6) Etwas über den heutigen Hofton junger Leute.
7) Verachte nicht alles, was bloß konventionellen Wert bat!
8) Der beßre Mann wird in der großen Welt nicht leicht unangetastet bleiben. Betragen dabei.
9) Sei in der großen Welt zuversichtlich frei und mache Dich gelten, doch ohne Unverschämtheit und Prahlerei!
10) Man messe sein Betragen gegen Hofleute pünktlich nach dem ihrigen gegen uns ab! Über Klatschereien.
11) Man sei höflich gegen sie, mache sich aber fürchten, setze sich in Ansehn und Würde und sage ihnen nach Gelegenheit die Wahrheit!
12) Noch einige Vorsichtigkeitsregeln über Vertraulichkeit und Offenherzigkeit!
13) Wieviel größre Vorsicht noch derjenige beobachten müsse, welcher nicht bloß in der großen Welt leben, sondern auch in derselben wirksam sein will?

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