11) Man sei höflich gegen sie, mache sich aber fürchten, setze sich in Ansehn und Würde und sage ihnen nach Gelegenheit die Wahrheit!

Sei höflich und geschliffen im Äußern. Man muß an Höfen und im Umgange in großen Städten manchen Menschen sehn, ertragen und freundlich behandeln, den man nicht schätzt, auch sucht man ja in diesem Getümmel keine Freunde, sondern nur Gesellschafter. Allein wo es Nutzen stiften oder wenigstens unser Ansehn befestigen, wo es wirken kann, daß der Dich fürchte, der nicht anders als durch Furcht im Zaume zu halten ist, da laß ihn Dein Ansehn fühlen. Nimm eine Art von Würde, von edelm Stolze und von Hoheit an gegen den Hofschranzen, damit nie der Gedanke in ihm aufkeimen könne, Dich zu foppen oder zu mißbrauchen. Diese Sklavenseelen zittern vor dem Übergewichte des verständigen, konsequenten Mannes; allein das muß weder in Aufgeblasenheit noch in Bauernstolz ausarten. Sage diesen Leuten zuweilen einmal, doch ohne Hitze und Grobheit, die Wahrheit. Schlage ihre flachen, schiefen Urteile kaltblütig mit Gründen nieder, wo es nach den Umständen die Klugheit erlaubt. Stopfe ihnen das Maul, wenn sie den Redlichen lästern. Setze ihren Schleichwegen Mut, Tätigkeit und wahre Kraft entgegen. Scherze nicht vertraulich mit ihnen. Laß echter Laune nicht den Lauf, aus Furcht ein Wort zu sprechen, das man mißbrauchen, verdrehn könnte.

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Über den Umgang mit Menschen

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Drittes Buch
Über den Umgang mit Hofleuten und ihresgleichen.
11) Man sei höflich gegen sie, mache sich aber fürchten, setze sich in Ansehn und Würde und sage ihnen nach Gelegenheit die Wahrheit!


1) Hierher gehören die Bemerkungen über den Umgang mit Leuten, die in der sogenannten großen Welt leben, überhaupt. Bild der dort herrschenden Sitten.
2) Wer da kann, der bleibe fern von Höfen und großen Zirkeln! Und das steht öfter in unsrer Gewalt, als man gemeiniglich glaubt.
3) Will oder muß man aber in der großen Welt auf immer oder auf einige Zeit leben, ohne den Ton derselben annehmen zu können, so gibt es doch Mittel, sich geachtet zu machen. Welche sind diese?
4) Lebt man endlich immer in der großen Welt, so soll man sich in derselben nicht auszeichnen.
5) Wie weit man in Nachahmung der Hofsitten gehen dürfe?
6) Etwas über den heutigen Hofton junger Leute.
7) Verachte nicht alles, was bloß konventionellen Wert bat!
8) Der beßre Mann wird in der großen Welt nicht leicht unangetastet bleiben. Betragen dabei.
9) Sei in der großen Welt zuversichtlich frei und mache Dich gelten, doch ohne Unverschämtheit und Prahlerei!
10) Man messe sein Betragen gegen Hofleute pünktlich nach dem ihrigen gegen uns ab! Über Klatschereien.
12) Noch einige Vorsichtigkeitsregeln über Vertraulichkeit und Offenherzigkeit!
13) Wieviel größre Vorsicht noch derjenige beobachten müsse, welcher nicht bloß in der großen Welt leben, sondern auch in derselben wirksam sein will?
14) Wozu das Leben in der großen Welt nützen könne?
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