11) Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können.
In den Herzen der mehrsten Großen wohnt Mißtrauen. Es herrscht bei ihnen der Gedanke, alle übrigen Menschen hätten einen Bund gegen sie gemacht. Deswegen sehen sie es so ungern, wenn unter denen, welche ihnen unterworfen sind, enge Freundschaften entstehen. Wer sich um Fürsten und Vornehme nicht zu bekümmern braucht, der kann sich hierüber gänzlich hinaussetzen, Verbindungen nach seinem Herzen schließen, und überhaupt wird kein redlicher Mann aus niedriger Gefälligkeit gegen irgendeinen Beschützer und Gönner einen wahren Freund vernachlässigen, noch einen würdigen Mann, der ihm die Hand reicht, von sich stoßen. Wer aber an Höfen sein Glück machen will, der tut doch wohl, wenn er vorsichtig in der Wahl seines Umgangs, seiner Vertraueten und der Gesellschaften ist, welche er am häufigsten besucht. Es herrschen da immer Parteien und Kabalen, in welche ein wohlwollendes, teilnehmendes Herz gar zu leicht hineingezogen wird; und wenn nun eine dieser Parteien über die andre siegt, so muß oft der Unschuldigste, insofern er nur irgend Mitwissender bei dem, was vorgefallen, gewesen ist, die Zeche bezahlen helfen. Ich habe an einem Orte, wo ich mich wahrlich - wider meine sündliche Natur - äußerst vorsichtig aufgeführt hatte, unbeschreiblichen Verdruß bloß dadurch gelitten, daß man mutmaßte, ich habe eine gewisse Sache, die vorgegangen, gewußt oder wenigstens gemerkt, weil ich viel mit den Personen umging, welche darin verwickelt waren. Und doch konnte man leicht schließen, daß ich keine Rolle dabei gespielt, ja, daß ich diese Sache nicht eher erfahren haben konnte, als bis sie schon geschehn, folglich durch meinen Rat oder Angabe nicht mehr zu hindern gewesen. Man hätte mir also meine Verschwiegenheit in jedem Betrachte und auch deswegen zum Verdienste anrechnen sollen, weil ich meine Freunde nicht verraten hatte. Man hätte überlegen sollen, daß ich ein freier, dienst- und pflichtloser Mensch war, folglich keine Obliegenheit hatte, den Fiskal oder Angeber zu machen und mich in solche Händel zu mischen. - Aber man ist denn nicht so billig, und ich rate angelegentlichst, an Höfen sich zu keiner Partei merklich zu schlagen, sondern seinen graden Gang fortzugehn und sich um nichts zu bekümmern, was uns nicht unmittelbar betrifft, höflich gegen jedermann, vertraulich aber nur unter vier Augen gegen die Allergeprüftesten zu sein. |
Über den Umgang mit Menschen![]() Auch gut: Der neue Knigge Drittes Buch 11) Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können. 1) Charakter der mehrsten Großen und Reichen. 2) Unterschied im Umgange mit ihnen, je nachdem man von ihnen abhängt, ihrer bedarf oder nicht. 3) Man soll sich den Vornehmern und Reichern auf keine Weise aufdrängen. 4) Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Klasse der Vornehmen oder lebte mit ihnen in der engsten Vertraulichkeit, noch ihre Gewohnheiten oder gar ihre Fehler sich eigen machen. 5) Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen! 6) Grenzen der Gefälligkeit gegen solche Großen, in deren Händen unser bürgerliches Glück ist. 7) Man soll sich von ihnen zu unedeln und gefährlichen Diensten nicht mißbrauchen, sich in keine bedenklichen Händel ziehn noch gewisse Dinge vertraun lassen. 8) Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen. 9) Trage nichts dazu bei, sie und die Ihrigen noch mehr zu verderben, weder durch Schmeichelei noch auf andre Art! 10) Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen. 12) Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen! Klage ihnen nicht Dein Leid! Vertraue ihnen nichts! Suche ihnen zu zeigen, daß Du ihrer nicht bedarfst! Mache Dich vielmehr ihnen notwendig! 13) Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten! 14) Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen. 15) Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen. 16) Alle diese Vorsichtigkeitsregeln werden doppelt wichtig im Umgange mit vornehmen Dummköpfen. 17) Betragen, wenn man der Liebling eines Erdengötzen ist. 18) Aufführung gegen einen gestürzten Großen. 19) Über die Almosen der Großen. 20) Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen. 2l) Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander. 22) Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen! |
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