2l) Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander.

Zum Schlusse noch ein paar Worte über den Umgang der Großen und Reichen unter sich. Sie verderben sich größtenteils einer den andern. Die Kleinern beeifern sich, es den Größern nach, ja es ihnen an Aufwande und übel verstandener Erhabenheit zuvorzutun, und so verewigen sie ihre Torheiten, welche von noch kleinern Magnaten bis auf den geringsten, der nur einen Schuhputzer in seiner Livree herumlaufen hat, nach möglichsten Kräften nachgeahmt werden. Lustige Beispiele von dieser Art sieht man an den kleinen deutschen Höfen; wie sie einander aufpassen, sich wechselseitig kontrollieren, beneiden, zu übertreffen suchen; wie, wenn der durchlauchtige Herr in Y*** an seinem Geburtstage einen Ball und zugleich eine Illumination von sieben Pfund Talglichtern gegeben hat, der Fürst in V*** an seinem Feste ein Feuerwerk von acht Pfunden Pulver hinzutut; wie, wenn der eine sich einen Oberhofmarschall für dreihundert Gulden Gage und zwölf Scheffel Haber hält, der andre dem Chef seines Hofes noch obendrein ein breites Ordensband über den hungrigen Magen hängt. Der eine regierende Graf verschreibt sich eine Meute Jagdhunde, wie sie kein Potentat in Europa hat, der angrenzende besoldet eine Meute Hofmusici, die wenigstens ebensoviel Lärm macht. Der dritte, voll Verzweiflung darüber, daß er es seinen Nachbarn nicht zuvortun kann, verzehrt lieber den sauern Erwerb seiner geplünderten Untertanen in Paris, spielt lieber da eine elende Rolle, als in seiner Residenz den guten, treuen Landesvater vorzustellen. Und so geht das weiter hinunter! Man fange nur in Städten an, ein Konzert oder dergleichen zu geben, welches abwechselnd von einer geschlossenen Gesellschaft gehalten wird, und womit etwa ein Abendessen verknüpft ist. Der erste, bei welchem sich der Zirkel versammelt, wird ein paar Flaschen Wein und kalte Küche hergeben; der andre fügt einen Punsch hinzu; und ehe ein Vierteljahr vergeht, ist die Anstalt in eine kostspielige Fresserei ausgeartet. Das sollte nun unter verständigen vornehmen und reichen Leuten nicht also sein. Sie sollten den Niedern Beispiel geben von Ordnung, Einfalt, Hinwegsetzung über steife Etikette und Mäßigkeit in Speise, Kleidung, Pracht, Bedienung, Hausrat und allen solchen Dingen. Sie sollten das Vorurteil vernichten, daß die Herzen der Großen zu keinen dauerhaften Freundschaften fähig seien - mit einem Worte, sie sollten nicht vergessen, daß die Augen so vieler auf sie gerichtet sind.

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Über den Umgang mit Menschen

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Auch gut: Der neue Knigge

Drittes Buch
2l) Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander.

1) Charakter der mehrsten Großen und Reichen.
2) Unterschied im Umgange mit ihnen, je nachdem man von ihnen abhängt, ihrer bedarf oder nicht.
3) Man soll sich den Vornehmern und Reichern auf keine Weise aufdrängen.
4) Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Klasse der Vornehmen oder lebte mit ihnen in der engsten Vertraulichkeit, noch ihre Gewohnheiten oder gar ihre Fehler sich eigen machen.
5) Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen!
6) Grenzen der Gefälligkeit gegen solche Großen, in deren Händen unser bürgerliches Glück ist.
7) Man soll sich von ihnen zu unedeln und gefährlichen Diensten nicht mißbrauchen, sich in keine bedenklichen Händel ziehn noch gewisse Dinge vertraun lassen.
8) Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen.
9) Trage nichts dazu bei, sie und die Ihrigen noch mehr zu verderben, weder durch Schmeichelei noch auf andre Art!
10) Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen.
11) Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können.
12) Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen! Klage ihnen nicht Dein Leid! Vertraue ihnen nichts! Suche ihnen zu zeigen, daß Du ihrer nicht bedarfst! Mache Dich vielmehr ihnen notwendig!
13) Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten!
14) Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen.
15) Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen.
16) Alle diese Vorsichtigkeitsregeln werden doppelt wichtig im Umgange mit vornehmen Dummköpfen.
17) Betragen, wenn man der Liebling eines Erdengötzen ist.
18) Aufführung gegen einen gestürzten Großen.
19) Über die Almosen der Großen.
20) Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen.
22) Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen!
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