20) Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen.
Und nun noch einmal! Wenn ich hier sehr viel zum Nachteile des Charakters der mehrsten Großen und Reichen gesagt habe, so bin ich doch weit entfernt, dies ohne Unterschied auf alle Personen der höhern Klassen ausdehnen zu wollen. Es ist mir immer äußerst zuwider gewesen zu sehn, wie manche unsrer armseligen neuern Schriftsteller es sich zum Geschäfte machen, auf die höhern Stände zu schimpfen. Viele von ihnen sind so wenig mit den erhabnern Menschenklassen bekannt, daß es die höchste Impertinenz verrät, wenn sie über Sitten und Denkungsart derselben ein Urteil wagen. Von ihren Dachstübchen herunter schielen sie neidisch und hämisch nach den Palästen der Glücklichern hinunter; wenn bei grober Kost und dem Wasserkruge die süßen Düfte aus den Küchen und Kellern derer, die im Überflusse leben, zu ihnen hinaufsteigen, so reizt das ihre Nerven, erregt ihre Galle; es ärgert sie, daß ihre Glücksumstände ihnen nicht wie jenen erlauben, ihre Leidenschaften zu befriedigen; sie verwünschen den Mann im vergoldeten Wagen, den sie zu Fuße nicht einholen können, schimpfen auf den hartherzigen Mäzen, der nicht ebenso überzeugt scheint von ihren großen Verdiensten, als sie selbst es sind, und fluchen auf das Geschick, welches die Güter der Erde so ungleich ausgeteilt hat. Da müssen es dann die armen Fürsten, Minister, Edelleute und Reichen entgelten, die sie als Tyrannen, Bösewichte, Toren und hartherzige Unterdrücker alles dessen, was edel und gut ist, abschildern. Ein so fanatischer Eifer kann wohl nie mein Gehirn ergreifen. Selbst im Überflusse und mit großen Erwartungen aufgewachsen, kenne ich recht gut die Vorteile und Nachteile einer reichen und vornehmen Erziehung. Meine nachherigen Schicksale aber, mein Aufenthalt an Höfen und der Umgang mit Menschen aller Art, das alles hat mich gelehrt, wie nötig es sei, denen, die nicht durch widrige Erfahrungen vollends ausgebildet werden, und die so selten reine, lautre, unparteiische Wahrheit hören, ohne Leidenschaft zu sagen, was ihnen so nötig ist zu hören. Viele von ihnen sind wahrlich herzlich gut; selbst die Schwächern haben oft manche Temperamentstugend, deren Wirkungen für die Welt viel wohltätiger werden können als die sanften Aufwallungen ärmerer und ohnmächtigerer Sterblicher. Sie haben von ihrer ersten Jugend an alle Muße und Gelegenheit, ihren Geist zu bilden, sich Talente zu erwerben, Welt und Menschen kennenzulernen, haben Veranlassungen in Menge, Gutes zu tun, die Freuden der Wohltätigkeit zu schmecken. Ihr Charakter wird nicht niedergedrückt, verschoben durch Unglück und Mangel, durch die Notwendigkeit, sich zu schmiegen und zu beugen. Und wenn von einer Seite Schmeichelei sie leicht verderben kann, so ist von der andern der Gedanke, daß jede ihrer edeln Handlungen bemerkt wird und ihre Verirrungen oft noch der späten Nachwelt vorerzählt werden, ein Sporn mehr, groß und vortrefflich zu werden. Auch nützen viele von ihnen alle diese Triebfedern, und es ist ein Glück, an der Seite eines Fürsten zu leben und Einfluß auf ihn zu haben, der die Würde seines Standes kennt und sich seines hohen Berufs wert zeigt. Ich kenne deren einige, die es auch gewiß nicht übel aufnehmen, wenn man ihnen die Klippen zeigt, an welchen so viele von ihnen scheitern. |
Über den Umgang mit Menschen![]() Auch gut: Der neue Knigge Drittes Buch 20) Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen. 1) Charakter der mehrsten Großen und Reichen. 2) Unterschied im Umgange mit ihnen, je nachdem man von ihnen abhängt, ihrer bedarf oder nicht. 3) Man soll sich den Vornehmern und Reichern auf keine Weise aufdrängen. 4) Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Klasse der Vornehmen oder lebte mit ihnen in der engsten Vertraulichkeit, noch ihre Gewohnheiten oder gar ihre Fehler sich eigen machen. 5) Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen! 6) Grenzen der Gefälligkeit gegen solche Großen, in deren Händen unser bürgerliches Glück ist. 7) Man soll sich von ihnen zu unedeln und gefährlichen Diensten nicht mißbrauchen, sich in keine bedenklichen Händel ziehn noch gewisse Dinge vertraun lassen. 8) Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen. 9) Trage nichts dazu bei, sie und die Ihrigen noch mehr zu verderben, weder durch Schmeichelei noch auf andre Art! 10) Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen. 11) Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können. 12) Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen! Klage ihnen nicht Dein Leid! Vertraue ihnen nichts! Suche ihnen zu zeigen, daß Du ihrer nicht bedarfst! Mache Dich vielmehr ihnen notwendig! 13) Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten! 14) Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen. 15) Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen. 16) Alle diese Vorsichtigkeitsregeln werden doppelt wichtig im Umgange mit vornehmen Dummköpfen. 17) Betragen, wenn man der Liebling eines Erdengötzen ist. 18) Aufführung gegen einen gestürzten Großen. 19) Über die Almosen der Großen. 2l) Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander. 22) Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen! |
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