8) Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen.

Überhaupt darf man auf die Dankbarkeit der mehrsten Vornehmen und Reichen sowie auf ihre Versprechungen nicht bauen. Opfre ihnen also nichts auf! Sie fühlen den Wert davon nicht, glauben, alle andern Menschen seien ihnen einen solchen Tribut schuldig, für den Schutz, für die gnädigen Blicke, ja für eine ungestörte Existenz, oder man wolle dadurch kleine Vorteile erringen. Schenke ihnen also auch nichts. Das heißt einen Tropfen köstlichen Balsams in einen Eimer trüben Wassers fallen lassen. Ich besaß ein altes kostbares Gemälde; ein geschickter Maler schätzte den Wert desselben auf hundert Pistolen. Die Hälfte dieser Summe, die ich leicht dafür bekommen haben würde, wäre bei meinen damaligen häuslichen Umständen mir äußerst nützlich gewesen; mein gutmütiges Temperament aber, oder vielmehr meine Torheit verleitete mich, das Gemälde dem Durchlauchtigsten *** von *** zu schenken, welcher es auch annahm. Ich dachte dadurch nichts zu erschleichen, aber teils wollte ich diesem Fürsten hiermit meine Zuneigung bezeugen, teils hoffte ich, da ich im Begriffe stand, ihn um etwas zu bitten, das er mir, weil er mir's versprochen, längst schuldig war, er werde sich nun endlich seines Worts erinnern, sooft er das Gemälde erblickte; allein ich betrog mich. Er umarmte mich, als ich zu ihm kam, und zeigte mir den Ehrenplatz, welchen er meinem Geschenke angewiesen, doch sein Versprechen erfüllte er nicht, und als ich mich nach Jahresfrist eines Abends, zugleich mit einem Gesandten, dem er seine Schätze der Kunst zeigte, in seinem Kabinette befand, sagte er diesem Fremden in meiner Gegenwart, indem er von meinem teuren Gemälde redete: »Es ist wahrlich ein schönes Stück, und ich bin ziemlich wohlfeil daran gekommen.« - Er hatte also vergessen, daß ich es war, der ihm diesen sehr wohlfeilen Preis gemacht hatte, und ich beseufzte die verschwundene Hoffnung und die verlorne Summe, von welcher ich mit den Meinigen eine Zeitlang hätte leben können.

Ebensowenig rate ich, den Großen Geld zu leihn oder von ihnen zu borgen. Im erstern Falle sehen sie nicht nur ihre Gläubiger als Wucherer und als solche an, die sich eine Ehre daraus machen müssen, den gnädigen Herrn mit ihrem Vermögen aufzuwarten, sondern auch, wenn sie saumselig in Wiederbezahlung der Schuld sind, wie man denn das sehr oft erlebt (da sie mehrenteils großem Aufwand machen, und unordentlicher in ihren häuslichen Geschäften zu sein pflegen, als sie sollten), so hat man unerhörte Weitläufigkeiten, hat zuweilen Mühe, Gerechtigkeit gegen sie zu erlangen, und macht sich wohl noch obendrein eine mächtige Partei zu Feinden. Im andern Falle aber, nämlich wenn man von ihnen borgt, wagt man, tausendfältig ihr Sklave zu werden.

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Über den Umgang mit Menschen

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Drittes Buch
8) Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen.

1) Charakter der mehrsten Großen und Reichen.
2) Unterschied im Umgange mit ihnen, je nachdem man von ihnen abhängt, ihrer bedarf oder nicht.
3) Man soll sich den Vornehmern und Reichern auf keine Weise aufdrängen.
4) Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Klasse der Vornehmen oder lebte mit ihnen in der engsten Vertraulichkeit, noch ihre Gewohnheiten oder gar ihre Fehler sich eigen machen.
5) Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen!
6) Grenzen der Gefälligkeit gegen solche Großen, in deren Händen unser bürgerliches Glück ist.
7) Man soll sich von ihnen zu unedeln und gefährlichen Diensten nicht mißbrauchen, sich in keine bedenklichen Händel ziehn noch gewisse Dinge vertraun lassen.
9) Trage nichts dazu bei, sie und die Ihrigen noch mehr zu verderben, weder durch Schmeichelei noch auf andre Art!
10) Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen.
11) Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können.
12) Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen! Klage ihnen nicht Dein Leid! Vertraue ihnen nichts! Suche ihnen zu zeigen, daß Du ihrer nicht bedarfst! Mache Dich vielmehr ihnen notwendig!
13) Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten!
14) Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen.
15) Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen.
16) Alle diese Vorsichtigkeitsregeln werden doppelt wichtig im Umgange mit vornehmen Dummköpfen.
17) Betragen, wenn man der Liebling eines Erdengötzen ist.
18) Aufführung gegen einen gestürzten Großen.
19) Über die Almosen der Großen.
20) Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen.
2l) Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander.
22) Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen!
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