15) Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen.

Fürsten, Vornehme und Reiche pflegen zuweilen sich so weit zu Leuten von geringerm Stande herabzulassen, daß sie dieselben um Rat fragen oder sie um Beurteilung ihrer Spielwerke, ihrer Schriften, Anlagen, Pläne, Meinungen und dergleichen bitten. Ich empfehle da Behutsamkeit und daß man sich erinnere, wie übel das Ratgeben und Warnen dem armen Gil Blas von Santillana in dem Hause des Kardinals bekam, obgleich dieser ihn so dringend aufgefordert hatte, ihm zu erzählen, was die Leute von seinen Predigten redeten*. So wie fast alle übrigen Menschen, so legen besonders die Großen der Erde uns mehrenteils nur darum solche Dinge zur Beurteilung vor, damit wir sie loben sollen, und fragen nicht eher um Rat, als bis sie schon entschlossen sind über das, was sie tun wollen.

* Der Kardinal fand die Kritik unberechtigt und Gil Blas verlor seine Vertrauten-Stellung.

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Über den Umgang mit Menschen

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Drittes Buch
15) Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen.

1) Charakter der mehrsten Großen und Reichen.
2) Unterschied im Umgange mit ihnen, je nachdem man von ihnen abhängt, ihrer bedarf oder nicht.
3) Man soll sich den Vornehmern und Reichern auf keine Weise aufdrängen.
4) Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Klasse der Vornehmen oder lebte mit ihnen in der engsten Vertraulichkeit, noch ihre Gewohnheiten oder gar ihre Fehler sich eigen machen.
5) Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen!
6) Grenzen der Gefälligkeit gegen solche Großen, in deren Händen unser bürgerliches Glück ist.
7) Man soll sich von ihnen zu unedeln und gefährlichen Diensten nicht mißbrauchen, sich in keine bedenklichen Händel ziehn noch gewisse Dinge vertraun lassen.
8) Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen.
9) Trage nichts dazu bei, sie und die Ihrigen noch mehr zu verderben, weder durch Schmeichelei noch auf andre Art!
10) Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen.
11) Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können.
12) Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen! Klage ihnen nicht Dein Leid! Vertraue ihnen nichts! Suche ihnen zu zeigen, daß Du ihrer nicht bedarfst! Mache Dich vielmehr ihnen notwendig!
13) Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten!
14) Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen.
16) Alle diese Vorsichtigkeitsregeln werden doppelt wichtig im Umgange mit vornehmen Dummköpfen.
17) Betragen, wenn man der Liebling eines Erdengötzen ist.
18) Aufführung gegen einen gestürzten Großen.
19) Über die Almosen der Großen.
20) Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen.
2l) Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander.
22) Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen!
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