13) Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten!

Hüte Dich aber, einen Großen, der Ansprüche auf Verstand, Witz, hohe Tugenden, Gelehrsamkeit, Kunstgefühl, oder worauf es immer sei, macht, hüte Dich, ihn deutlich oder gar in Gegenwart andrer merken zu lassen, daß Du Dir bewußt bist, Du übertreffest, Du übersehest, Du verdunkelst ihn. In der Stille darf er das wohl fühlen, aber er muß es nur allein zu fühlen glauben. Vor allen Dingen ist diese Vorsicht nötig gegen Vorgesetzte, die ungeschickter in ihrem Fache sind als Du. Gern mögen sie Dir Deine bessern Einsichten, gleichsam als prüften sie Dich, abfragen, sich zu eigen machen, Dir nach Gelegenheit Deine eigene Ware wieder verkaufen; doch wehe Dir, wenn Du das rügst, wenn Du nur einmal tust, als merktest Du das, oder gar wenn Du den unterrichtenden Ton gegen sie annimmst. - Wie werden sie Dir das Leben sauer machen! Wieviel werden sie von Dir fordern, das sie selbst nie zu leisten imstande sein würden, damit sie Gelegenheit haben, Dich eines Fehlers zu zeihen.

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Über den Umgang mit Menschen

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Drittes Buch
13) Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten!

1) Charakter der mehrsten Großen und Reichen.
2) Unterschied im Umgange mit ihnen, je nachdem man von ihnen abhängt, ihrer bedarf oder nicht.
3) Man soll sich den Vornehmern und Reichern auf keine Weise aufdrängen.
4) Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Klasse der Vornehmen oder lebte mit ihnen in der engsten Vertraulichkeit, noch ihre Gewohnheiten oder gar ihre Fehler sich eigen machen.
5) Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen!
6) Grenzen der Gefälligkeit gegen solche Großen, in deren Händen unser bürgerliches Glück ist.
7) Man soll sich von ihnen zu unedeln und gefährlichen Diensten nicht mißbrauchen, sich in keine bedenklichen Händel ziehn noch gewisse Dinge vertraun lassen.
8) Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen.
9) Trage nichts dazu bei, sie und die Ihrigen noch mehr zu verderben, weder durch Schmeichelei noch auf andre Art!
10) Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen.
11) Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können.
12) Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen! Klage ihnen nicht Dein Leid! Vertraue ihnen nichts! Suche ihnen zu zeigen, daß Du ihrer nicht bedarfst! Mache Dich vielmehr ihnen notwendig!
14) Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen.
15) Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen.
16) Alle diese Vorsichtigkeitsregeln werden doppelt wichtig im Umgange mit vornehmen Dummköpfen.
17) Betragen, wenn man der Liebling eines Erdengötzen ist.
18) Aufführung gegen einen gestürzten Großen.
19) Über die Almosen der Großen.
20) Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen.
2l) Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander.
22) Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen!
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