5) Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen!

Man traue nicht zu sehr den freundlichen Gesichtern der mehrsten Großen, glaube sich nicht auf dem Gipfel der Glückseligkeit, wenn der gnädige Herr uns anlächelt, die Hand schüttelt oder uns umarmt. Vielleicht bedarf er unsrer in diesem Augenblicke und behandelt uns mit Verachtung, wenigstens mit Kälte, sobald dieser Augenblick vorüber ist. Vielleicht fühlt er gar nichts bei seiner Freundlichkeit, wechselt Mienen, wie andre Kleider wechseln, ist grade in der Verdauungsstunde zu untätigem Wohlwollen gestimmt oder will einen andern seiner Sklaven dadurch demütigen. Man bleibe mit dieser Gattung Menschen immer in seinen Schranken, mache sich nicht gemein mit ihnen und vernachlässige nie die äußere unterscheidende Höflichkeit und Ehrerbietung, die man ihrem Stande schuldig ist, sollten sie sich auch noch so sehr herablassen. Früh oder spät fällt es ihnen doch ein, ihr Haupt wieder emporzuheben, oder sie verabsäumen uns, wenn ein andrer Schmeichler sie an sich zieht, und dann setzt man sich unangenehmen Demütigungen aus, die man mit weiser Vorsicht vermeiden kann.

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Über den Umgang mit Menschen

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Drittes Buch
5) Man baue nicht auf alle freundlichen Blicke der Großen und lasse sich da durch nie bewegen, sich mit ihnen gemein zu machen!

1) Charakter der mehrsten Großen und Reichen.
2) Unterschied im Umgange mit ihnen, je nachdem man von ihnen abhängt, ihrer bedarf oder nicht.
3) Man soll sich den Vornehmern und Reichern auf keine Weise aufdrängen.
4) Man muß sich nicht das Ansehn geben, als gehörte man zu der Klasse der Vornehmen oder lebte mit ihnen in der engsten Vertraulichkeit, noch ihre Gewohnheiten oder gar ihre Fehler sich eigen machen.
6) Grenzen der Gefälligkeit gegen solche Großen, in deren Händen unser bürgerliches Glück ist.
7) Man soll sich von ihnen zu unedeln und gefährlichen Diensten nicht mißbrauchen, sich in keine bedenklichen Händel ziehn noch gewisse Dinge vertraun lassen.
8) Über die Dankbarkeit der Vornehmen und Reichen. Man soll ihnen nichts aufopfern, nichts schenken, nichts leihen, von ihnen nichts borgen.
9) Trage nichts dazu bei, sie und die Ihrigen noch mehr zu verderben, weder durch Schmeichelei noch auf andre Art!
10) Überhaupt soll man bei ihnen vorsichtig im Reden sein und sich aller Medisance enthalten, übrigens aber sie angenehm zu unterhalten suchen.
11) Vorsichtigkeitsregeln in Ansehung solcher Vertraulichkeit mit andern Menschen, woraus Fürsten und Vornehme Verdacht schöpfen können.
12) Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen! Klage ihnen nicht Dein Leid! Vertraue ihnen nichts! Suche ihnen zu zeigen, daß Du ihrer nicht bedarfst! Mache Dich vielmehr ihnen notwendig!
13) Aber hüte Dich, sie Dein Übergewicht fühlen zu lassen, sie zu verdunkeln, besonders Deine Vorgesetzten!
14) Über kleine unschädliche Gefälligkeiten gegen die Großen. Über ihre Liebhabereien und ihren Hang zum Reisen.
15) Betragen, wenn Vornehme und Reiche um Rat fragen.
16) Alle diese Vorsichtigkeitsregeln werden doppelt wichtig im Umgange mit vornehmen Dummköpfen.
17) Betragen, wenn man der Liebling eines Erdengötzen ist.
18) Aufführung gegen einen gestürzten Großen.
19) Über die Almosen der Großen.
20) Nicht alle Großen der Erde haben die Fehler ihres Standes. Es gibt edle, gute Menschen unter ihnen.
2l) Noch etwas über den Umgang der Großen und Reichen untereinander.
22) Spöttle nicht über das Kleine an kleinen Höfen!
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