6) Wie wir uns zu verhalten haben, wenn die liebenswürdigen Eigenschaften fremder Personen zu lebhafte Eindrücke auf unsre Ehegenossen machen.

Mit dem allen aber wird es nicht fehlen, daß nicht zuweilen fremde liebenswürdige Menschen auf kurze Zeit vorteilhafte Eindrücke auf Ehegenossen machen sollten, als einer von diesen seiner Ruhe wegen wünschen möchte. Es ist nicht zu erwarten, daß, wenn die erste blinde Liebe verraucht ist - und die verraucht denn doch bald -, man so parteiisch füreinander bleiben, daß man nicht oft die Vorzüge andrer Leute sehr lebhaft fühlen sollte. Hierzu kommt dann noch, daß Personen, mit denen wir seltner umgehen, sich immer von ihren besten Seiten zeigen und uns mehr schmeicheln als die, mit denen wir täglich leben. Eindrücke von der Art werden aber bald wieder verschwinden, wenn nur der Gatte fortfährt, seine Pflichten treulich zu erfüllen, und wenn er keinen niedrigen Neid, keine närrische Eifersucht blicken läßt, die ohnehin nie gute, sondern allemal schlimme Folgen haben. Liebe und Achtung lassen sich nicht erzwingen, nicht ertrotzen; ein Herz, das bewacht werden muß, ist wie der Mammon eines Geizigen, mehr eine unnütze Last als ein wahrer Schatz, dessen man froh wird; Widerstand reizt; keine Wachsamkeit ist so groß, daß sie nicht hintergangen werden könnte, und es liegt in der Natur des Menschen, daß man ein Gut, das vielleicht sonst gar keinen Reiz für uns haben würde, doppelt eifrig wünscht, sobald der Besitz desselben mit Schwierigkeiten für uns verbunden ist.

Man soll auch jene kleinen Künste, die höchstens unter Verliebten, nicht aber unter Ehegatten, stattfinden dürfen, verachten, durch welche man, um die Liebe des andern Teils mehr anzufeuern, mit Vorsatz Eifersucht zu erregen sucht. Bei einem Bande, das auf gegenseitiger Hochachtung beruhn muß, darf man sich durchaus keiner schiefen Mittel bedienen. Glaubt meine Frau, ich könne in der Tat meine Pflicht und Zärtlichkeit gegen sie fremden Neigungen aufopfern, so muß das ihre eigene Achtung gegen mich vermindern, und merkt sie hingegen, daß ich nur Spielwerk mit ihr treiben will, so ist das mehr als verlorne Arbeit, die noch obendrein oft ernstliche Folgen haben kann.

Ich sage, wenn auch auf kurze Zeit der Mann seinem Weibe oder die Frau ihrem Gatten Veranlassung zu solchen Unruhen gibt, so wird doch diese kleine Herzensverirrung, wenn der leidende Teil nur fortfährt, seinen Pflichten treu zu sein, nicht dauern können. Bei kaltblütiger Prüfung wird der Gedanke aufleben: »Möchte auch jener, möchte auch jene die liebenswürdigsten Eigenschaften haben, so ist er mir doch, ist sie mir doch nicht, was mir mein Mann, mein Weib ist, teilt doch nicht mit mir jede Sorge des Lebens, hat nicht mit mir schon so viel Glück und Unglück gemeinschaftlich getragen, hängt nicht so mit ganzer Seele, mit erprobter Treue an mir, ist nicht Vater, nicht Mutter meiner lieben Kinder, wird nicht so ewig alles Gute und alles Böse mit mir teilen, wird mir nicht den Verlust ersetzen, wenn ich meinen Gatten von mir stoße.« - Und ein solcher Triumph der Rückkehr, komme er früh oder spät, ist dann süß, und macht alle Leiden vergessen.

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Über den Umgang mit Menschen


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Zweites Buch
Drittes Kapitel: Von dem Umgange unter Eheleuten.
6) Wie wir uns zu verhalten haben, wenn die liebenswürdigen Eigenschaften fremder Personen zu lebhafte Eindrücke auf unsre Ehegenossen machen.


1) Gute Wahl der Gatten ist das sicherste Mittel zu künftigem Eheglücke, und das Gegenteil hat traurige Folgen.
2) Warum so manche in der Jugend mit sehr wenig Überlegung geschlossene Ehen dennoch glücklich ausfallen?
3) Ob vollkommene Gleichheit in Temperamenten und Denkungsart zu einer glücklichen Ehe notwendig sei?
4) Vorschriften, welche man beobachten soll, um sich einander immer neu, angenehm und wert zu bleiben.
5) Hauptregel: Erfülle sorgsam jede Deiner Pflichten!
7) Wie man sich gegen solche Eindrücke wappnen solle, besonders gegen die feinern Koketten; in der Jugend; im reifern Alter.
8) Eheliche Pflicht schließt aber nicht alle zärtlichen Empfindungen für andre Personen aus.
9) Man soll voneinander auch nicht Aufopferung alles eigenen Geschmacks, aller andern unschuldigen Neigungen verlangen, sich aber nach und nach in gleiche Stimmung zu setzen suchen.
10) Wie man wirkliche Ausschweifungen vermeiden solle?
11) Ob man Geheimnisse voreinander haben dürfe?
12) Jeder Ehegenosse soll seine angewiesenen Geschäfte haben.
13) Wie es mit Verwaltung der Kassen zu halten?
14) Wie aber, wenn ein Teil die Verschwendung liebt? Häusliche Sparsamkeit ist ein Mittel zum Eheglücke.
15) Ist es besser, daß der Mann oder daß die Frau reich sei? Ersteres! warum? Betragen gegen eine reiche Frau.
16) Ist es besser, daß der Mann klüger sei als das Weib, oder umgekehrt?
17) Oh man seiner Gattin sein Unglück klagen dürfe? Verhalten in wirklichen Unglücksfallen.
18) Betragen bei gar zu großer Ungleichheit der Denkungsart.
19) Wie man sich verhalten solle, wenn das Schicksal uns mit einer unmoralischen lasterhaften Person auf ewig verbunden hat.
20) Leide nicht, daß Fremde sich in Deine häuslichen Geschäfte mischen! Etwas über böse alte Schwiegermütter.
21) Über Verletzung ehelicher Treue und Ehescheidung.
22) Ob diese Regeln auch anwendbar auf die Ehen unter sehr vornehmen und sehr reichen Leuten sind.

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